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Thema der Woche 6/2021

Die Zerspanung wird sich ändern

Corona und E-Mobilität werden die Märkte und Prozesse der Zerspanungsbranche weiter ändern. Wie und wohin, erklärt Technik-Geschäftsführer Matthias Rommel aus der Sicht des weltweit agierenden Werkzeugherstellers Horn.

Foto: NCFertigung „Wenn ein gewisser Grad an Präzision oder Bearbeitungskomplexität überschritten wird, lässt sich der Prozess oft nur mit neuen Maschinenzyklen realisieren“, erklärt Matthias Rommel eine Lösung für die steigende Komplexität der Bauteile.

Muss sich die Zerspanungsbranche wirklich schon auf neue Aufgaben und Absatzmärkte, auf neue Prozesse einstellen? Herr Rommel, ein Technischer Geschäftsführer erkennt frühzeitig, wo sich neue Märkte auftun oder eben nicht. Ist die Zerspanungsbranche tatsächlich schon mit dem Automobil durch? Matthias Rommel: Mit Sicherheit nicht. Ein Großteil der Pkw-Teile wird nach wie vor mechanisch gefertigt. Nicht ohne Grund liefert die deutsche Werkzeugmaschinenindustrie zu fast 50 % ihre Produkte in die Automobil- und Zulieferindustrie. Das wird sich mittelfristig auch nicht ändern. Allerdings ist ein Rückgang in der mechanischen Bearbeitung bereits spürbar.

Also keine Verbrenner mehr, sondern nur noch elektrische CFK-Mobile und weniger Zerspanung? Matthias Rommel: So dramatisch wird es so schnell nicht werden. Seriösen Hochrechnungen zufolge werden Batterie-Fahrzeuge inklusive Hybridfahrzeuge bis 2025 maximal 25 % Marktanteil weltweit haben. Europa hat hierzu ambitionierte Ziele und hat sich leider schon auf eine Lösung eingefahren. China beispielsweise ist in dieser Hinsicht offener und forciert eine Koexistenz von Verbrennern und neuen Antrieben. Bis 2035 plant China den Anteil der Elektro- und Hybridfahrzeugen auf 50 bis 60 % zu bringen. Wir brauchen Fortschritt, um dem Thema CO2 entgegenzutreten, aber wir brauchen auch erreichbare Ziele und keine Vorgaben, die sich nur auf eine Lösung konzentriert. Darüber hinaus ist eine Strategie für den benötigten Energiebedarf unablässig.

Was schlagen Sie vor? Matthias Rommel: Ich denke, man kann Strom heute überall erzeugen – auch im Süden Deutschlands und ohne Kohlekraftwerke. Die Probleme sind bekannt, dass sich Strom in heutigen Batterien für alle Belange nicht wirklich gut speichern lässt. Wichtig ist aber ein ordentliches Energiespeichermedium. Wasserstoff hat viele Attribute, die ihn zum Medium der Zukunft machen könnten. Und gegenüber der Batterie lässt sich gerade eben das Wasserstoff-Konzept noch richtig weiterentwickeln. Das geht bei den Tanks los und endet bei der Brennstoffzelle. Darüber hinaus bieten eFuels großes Potential als CO2-neutraler Ersatzkraftstoff für Verbrennungsmotoren. Meiner Meinung nach ist es wichtig, dass in diesem Themenfeld weiter verstärkt am Wirkungsgrad gearbeitet wird.

Wird sich die Aerospace-Branche auf absehbare Zeit erholen? Matthias Rommel: Zwar ist Aerospace tatsächlich der große Verlierer in der Corona-Pandemie. Aerospace wird sich aber erholen, weil der Mensch eben dieses große Mobilitätbedürfnis hat und auch künftig keine effektivere Transportmöglichkeit zur Bewältigung von Langstrecken besteht. Allerdings sollte man auch hier den Markt nicht überschätzen. Laut der letzten Statistik liefert die deutsche Werkzeugmaschinenindustrie an die Luft- und Raumfahrt lediglich rund 5% ihrer Waren.

Sollten wir uns auf die Raumfahrt konzentrieren oder auf E-mobile Flugtaxis & Co.? Die Statistik zeigt schon, dass es sich bei der traditionellen Raumfahrt bei weitem noch nicht um einen Massenmarkt handelt. Deshalb wird dieser Markt die Zerspanungsbranche auch auf absehbare Zeit nicht auslasten können. Mehr Potenzial haben da schon die neuen Mobilitätsformen für den Personen- aber auch für den Güterverkehr. So lange aber keine neuen Antriebskonzepte erfunden sind, die diese Mobilität für einen breiten Einsatz zugängig machen, wird auch dieser Markt alleine unsere Zerspanungsbranche nicht auslasten können.

Wird demnächst also deutlich weniger Metall zerspant? Matthias Rommel: Wir beobachten den Trend ja schon länger: Es werden immer weniger Metallspäne produziert. CFK & Co sind nicht nur leichter, sondern passen natürlich eher zum Image beispielsweise der von Ihnen genannten Flugtaxis. Allerdings haben die Metalle nachgezogen und liefern mittlerweile mit filigranen Konstruktionen ähnliche Leistungsgewichte. Zudem ist Metall für Massenteile ideal, da sich deren Bearbeitungsprozesse oft besser und günstiger automatisieren lassen. Allerdings hat auch das Schruppen schon lange nicht mehr die Dimensionen wie früher. Schon seit Anfang der 2000er wurden in der Automobilindustrie Rohlinge bereits Near-Netshape produziert. Heute steht das Schlichten von schwierig zu bearbeitenden Materialien im Mittelpunkt. Dazu kommen die deutlich gestiegenen Präzisionsanforderungen.

Foto: NCFertigung Über 50 % Umsatz macht Horn mit Sonderwerkzeugen (v.li): Ein Wälzschälwerkzeug zum Herstellen von Außenverzahnungen, zum Polygondrehen und rechts zum Mehrkantschlagen. So lassen sich in 20 s große Schlüsselflächen an ein Drehteil fräsen.

Haben wir schon die richtigen Maschinen zum Schlichten von filigranen Strukturen? Matthias Rommel: Zum Schlichten herkömmlicher Strukturen bestimmt. Viele entscheidende Aufgaben übernehmen aber heute die Werkzeuge. Beispielsweise das Schlichten von Endkonturen– und zwar in Schleifqualität. Unsere Erfahrung ist, dass sich immer mehr Schleifprozesse in Werkzeugmaschinen verlagern lassen, weil die Maschinen eben viel genauer geworden sind und damit vielfach Schleiffunktionen übernehmen können. Mittlerweile geht viel, vor allem auf Dreh-Fräszentren. Wichtig ist aber, dass die Maschinen gut gekühlt und klimatisiert sind. Das sind dann aber schon sehr spezielle Anwendungen – und Werkzeuge. Sonderwerkzeuge sind dabei oft der Schlüssel.

Wie viel Umsatz macht Horn mit Sonderwerkzeugen? Matthias Rommel: Mitterweile schon über 50 Prozent. Tendenz mit Sicherheit steigend. Und das sind oft keine einfachen Werkzeuge. Die Werkzeuge sind meist sehr fein toleriert, weil es immer mehr um Finishbearbeitung geht: Werkzeuge für die Bearbeitung von Endkonturen – das ist ein großer Teil der Horn-Welt. Und das wird mehr und mehr nachgefragt.

Das heißt, die Werkzeuge müssen auch viel genauer produziert werden? Matthias Rommel: Richtig. Das Pressen und Sintern der Schneidplatten reicht hierfür meist nicht aus. In punkto Sonderwerkzeugen müssen wir alle Hartmetall-Schneidplatten und natürlich die CBN-, PKD-, CVD- und MKD-Werkzeuge finishen, also beispielsweise schleifen oder lasern.

Foto: NCFertigung „Der Zerspaner muss sich neben der Maschinenbeherrschung auch auf Zyklen konzentrieren.“ Warum und welche großen Vorteile sich daraus für Zerspaner ergeben, erklärt Matthias Rommel.

Welche Möglichkeiten ergeben sich aktuell in der Kombination Maschine/Werkzeug? Matthias Rommel: In dieser Betrachtung sind wir dann bei neuen Zyklen angekommen. Wenn ein gewisser Grad an Präzision oder Bearbeitungskomplexität überschritten wird, lässt sich, so ist unsere Erfahrung, der Prozess oft nur mit neuen Maschinenzyklen realisieren. Paradebeispiele sind das Wälzschälen, Polygondrehen oder Mehrkantschlagen. Im Prinzip wird beim Wälzschälen auf einer Dreh-Fräsmaschine eine Verzahnung gedreht, die mit hohen Güteklassen aufwartet. Aber allein die Herstellung einer Verzahnung auf einem Dreh-Fräs-Zentrum deutet schon an, welches Potenzial heutige Maschinen- und Werkzeugtechnologien bereithalten. Zerspaner müssen es bloß nutzen.

Horn bietet den Support dafür, nicht nur digital, sondern auch vor Ort? Matthias Rommel: Videosessions helfen bei Prozessoptimierungen meist nicht wirklich weiter. Nach wie vor müssen Menschen, Maschine, Material und Werkzeug zusammenfinden, um die Bearbeitung gerade bei immer schwierigeren Werkstoffen in den Griff zu kriegen. Horn hat dazu gut 60 Außendienstmitarbeiter in ganz Deutschland im Einsatz.

Wie oft kommt es vor, dass ein Werkzeug kundenspezifisch angepasst wird? Matthias Rommel: Oft. Es gibt viele Werkzeuge, die müssen einfach auf den spezifischen Einsatzfall, das Material und wie im Fall des Wälzschälens auch auf die gewünschte Zähnezahl und -form ausgelegt werden. Gleiches gilt beispielsweise jetzt für unser neuestes Werkzeug, mit dem Sie solche superschnell gefertigten Verzahnungen auch noch nachträglich in Sekunden entgraten können. Damit dann auch die umlaufende Fase an der Verzahnung passt, müssen wir in Abstimmung mit unserem Kunden dieses Werkzeug individuell auslegen.

Ab welcher Losgröße lohnt sich so ein Sonderwerkzeug? Matthias Rommel: Sonderwerkzeuge lohnen sich tatsächlich ab Losgröße 1. Weil Sie ohne dieses Werkzeug weder Präzision noch Qualität und wahrscheinlich auch nicht mal die Geometrie hinkriegen.

Und warum sollte der Zerspaner sich das Sonderwerkzeug bei Horn machen lassen? Matthias Rommel: Er bekommt von uns nicht nur die optimale Werkzeugauslegung, sondern auch eine kompetente vor-Ort-Beratung sowie einen sehr zeitnahen Termin, wann sein Werkzeug einsatzfähig ist. Das kann durch unser sogenanntes Greenline-Verfahren nach Zeichnungsfreigabe durch den Kunden bereits innerhalb von fünf Arbeitstagen sein.

Wie kriegen Sie dann die höhere Präzision hin? Matthias Rommel: Wir haben eigene Maschinen entwickelt, mit denen wir die Werkzeuge im simulierten Spannzustand für den einzelnen Kunden schleifen. Das ist nicht immer nötig, bringt aber gerade in der Bearbeitung der Endkontur den entscheidenden Vorteil.

Was braucht der Zerspaner für die Bearbeitung der Endkontur auf jeden Fall? Matthias Rommel: Wer komplexe Geometrien effizient und präzise produzieren will, kommt um Zyklen nicht mehr herum. Für Zyklen brauchen Sie aber häufig Dreh-Fräs-Zentren. In Summe lassen sich damit schon jetzt viele kleine und mittlere Serien fertigen, die bisher nur auf Sondermaschinen produziert werden konnten.

Wird der Zerspaner durch die Zyklen künftig nicht austauschbarer? Matthias Rommel: Nein. Aber die Arbeit verändert sich. Der Zerspaner muss sich neben der Maschinenbeherrschung auch auf Zyklen konzentrieren. Dann wird er künftig mehr denn je derjenige sein, der die Kapazitäten und das Know-how hat, um aus immer komplexeren Werkstoffen noch komplexere Bauteile zu fertigen. Gegebenenfalls in sehr kleinen Losgrößen und kurzen Lieferzeiten.

Und Horn liefert die Werkzeuge? Matthias Rommel: Sehr gerne. Dafür ist Horn sehr gut aufgestellt. Wir verfügen über sämtliche Produktionsprozesse in der eigenen Fertigung. Sonst könnten wir auch die Lieferzeit von 5 Tagen niemals realisieren.