Foto: Starrag

Thema der Woche 19/2021

Welches Potenzial steckt in 4-Achs-Bearbeitungszentren?

Gleich drei Hersteller haben 2021 schon neue 4-Achs-Bearbeitungszentren auf den Markt gebracht. Experten verraten, welches Potenzial in diesem Segment steckt.

4-Achs-Bearbeitungszentren können für eine Reihe von Anwendungen die richtige Wahl sein und bieten noch reichlich Potenzial. Und dass dieser Maschinentyp keineswegs aus der Mode kommt, zeigen die Neuvorstellungen von Heckert, Grob und Heller im Februar und März. Aus Sicht vieler Hersteller haben 4-Achs-Maschinen also weiterhin ihre Berechtigung. „Dies gilt gerade für die Serienfertigung“, erklärt Alexander Attenberger, Chief Sales Officer (CSO) der Starrag Group. „In punkto Spänefall, Taktzeit, Stabilität und Genauigkeit bieten 4-achsige Horizontalbearbeitungszentren immer noch klare Vorteile.“ In die gleiche Richtung argumentiert auch Sebastian Herr, Leiter der Anwendungstechnik bei der Hurco GmbH: „Wer einfache kubische Bauteile in Serie fertigt, kann dafür sehr gut eine 4-Achs-Maschine einsetzen.“ Einigkeit herrscht bei den Experten zwar darüber, dass 5-Achs-Maschinen die höhere Flexibilität bieten, doch „dort wo eine Fertigung eine längerfristig gesicherte Aufgabe hat, kann 4-Achsigkeit nach wie vor die auf Stückkosten optimierte Antwort sein“, urteilt Manfred Maier, COO der Heller-Gruppe.

Foto: Starrag Alexander Attenberger, Chief Sales Officer der Starrag Group: „In punkto Spänefall, Taktzeit, Stabilität und Genauigkeit bieten 4-achsige Horizontalbearbeitungszentren immer noch klare Vorteile.“ 

Zahlreiche Vorteile sprechen für Potenzial der 4-Achs-Maschine

Für 4-Achs-Maschinen spricht laut Hurco-Manager Herr definitiv das geringere Fehlerpotenzial. „Je weniger Achsen eine Maschine hat, umso geringer ist die Gesamtsumme der Toleranzen. Auch sind sie preislich attraktiv.“ Ein weiterer Vorteil liegt in der Produktivität und durch den Palettenwechsler ist eine Basis-Automation im Standard bereits enthalten. „Der Grundinvest ist höher als bei reinen 3-Achs Maschinen“, sagt der Starrag-CSO, „betrachtet man die Cost per Part wird dies durch Taktzeitvorteile jedoch wieder mehr als wettgemacht.“ Ganz pragmatisch antwortet der Heller-Geschäftsführer: „Zunächst hat jede Achse ihre Kosten. Dem Mehr an Kosten pro Achse muss ein entsprechender Vorteil bei der Anzahl an Aufspannungen, den Vorrichtungskosten oder der Genauigkeit entgegenstehen.“ Zudem spreche die Möglichkeit durch Mehrfachspannung von Bauteilen die Nebenzeiten pro Bauteil zu verringern ebenfalls häufig für 4-Achs-Modelle.

Foto: Hurco Sebastian Herr, Leiter der Anwendungstechnik bei der Hurco GmbH: „Je weniger Achsen eine Maschine hat, umso geringer ist die Gesamtsumme der Toleranzen.“

Innerhalb der Starrag Group gehören 4-Achs-Maschinen zur DNA von Heckert. Mit dem neuen Horizontal-Bearbeitungszentrum Heckert H65 rundet das Unternehmen diese Baureihe nach oben ab. Der Neuzugang kann bei einer kompakten Bauweise mit 24 m² Aufstellfläche bis zu 1,5 t schwere Werkstücke bearbeiten. „Die Maschine zeichnet sich vor allem durch höhere Dynamik, kleinere Stellfläche, verbesserte Ergonomie und Späneentsorgung sowie einen geringeren Invest aus“, urteilt Attenberger. Im Detail soll die H65 durch den speziell für die dynamische Bearbeitung optimierten Ständer 30 % schneller arbeiten als das Vorgängermodell. Mit der 60-kW-Spindel, die 450 Nm bei 10.000 min-1 liefert, und einer Spindelhochlauf von 2,8 s zerspane sie fast so schnell wie deutlich größere Maschinen.

Kürzere Span-zu-Span-Zeiten

Auch Heller hat im Rahmen der Metav digital bereits die vierte Generation der 4-Achs-Baureihe H vorgestellt. Die Bearbeitungszentren H 2000 bis H 6000 sollen mit höherer Produktivität, kürzeren Werkstücklaufzeiten und reduzierten Nebenzeiten punkten. Zu den Verbesserungen gehören laut Angaben kürzere Span-zu-Span-Zeiten in den Ausstattungspaketen Power und Speed im Vergleich zur Vorgängerbaureihe, verstärkte Rundtische und eine optimierte Antriebstechnik in der Z-Achse. Für die Maschinen gibt es sechs neue Spindeln im Inline-Design sowie die Heller-Planzug-Lösung, beispielsweise für das Ausdrehen von Konturen oder Plandreharbeiten. Mit dem Heller-Nullspindelsystem wird der Austausch durch auf Nullmaß abgestimmte Spindeln vereinfacht. Zusätzlich zur Siemens-Steuerung bietet das Unternehmen nun auch für die Fanuc-Steuerung 31i-B die grafische Bedienoberfläche iHMI.

Foto: Heller Manfred Maier, COO der Heller-Gruppe: „Solange der Markt nach 4-Achs-Maschinen verlangt, werden wir diese auch im Programm behalten.“ 

Für Grob ist die kürzlich auf dem Virtual Open House vorgestellte 4-Achs-Maschinen-Baureihe ein Neueinstieg. „Wir besetzen damit ein neues Marktsegment von dem wir uns viel versprechen“, verdeutlicht Christian Müller, Geschäftsführer Vertrieb bei der Grob-Werke GmbH & Co. KG. „Durch 4-Achs-Maschinen erweitert sich unser Kundenspektrum um den Faktor fünf gegenüber dem bisherigen 5-Achs-Markt.“ Mit diesem Produktausbau will Grob den stetig wachsenden Anforderungen aus allen Zielmärkten außerhalb des 5-Achs-Marktsegments gerecht werden. Dabei soll die Baureihe sowohl den Marktanforderungen nach einer robusten als auch einer dynamischen 4-Achs-Horizontalmaschine gerecht werden. „Die Baureihe wurde von Beginn an mit einer Mehrkörpersimulation der Gesamtmaschine für quasi ideale statische und dynamische Verhaltensweisen optimiert“, erläutert Ralph Rösing, Abteilungsleiter Vertrieb Universalmaschinen. „Die neuen 4-Achs-Maschinen zeichnen sich im Vergleich zum Marktumfeld durch ein hohes Beladegewicht, hohe Vorschubkräfte und Beschleunigungen der Hauptachsen aus.“

Foto: Grob-Werke Ralph Rösing, Abteilungsleiter Vertrieb Universalmaschinen bei der Grob-Werke GmbH & Co. KG: „Wir wollen uns mit den neuen 4-Achs-Maschinen nachhaltig im Markt etablieren.“ 

Drei Baugrößen neu im Angebot

Durch ihren modularen Maschinenaufbau und ihre hohe Optionsvielfalt lassen sich die 4-Achs-Bearbeitungszentren G440, G640 und G840 individuell nach spezifischen Kundenanforderungen konfigurieren. Sie sind in Fahrständerbauweise auf einem eigensteifen Maschinenbett mit drei Fixatorpunkten aufgebaut. Die Rundachse wird von einem dynamischen Torquemotor, die Linearachsen von Kugelgewindetrieben angetrieben. Die drei Baugrößen bieten neben den Palettenvarianten von 500 mm, 630 mm und 800 mm ein durchgängiges Konzept verfügbarer Spindelgrößen mit kleiner und großer Schnittstelle in HSK, SK, CAT, BT sowie Big-Plus. Die Maschinen eignen sind neben dem Bereich Automotive, insbesondere auch für die Segmente Maschinenbau, Bus & Truck, Land- und Baumaschinen sowie Fluidtechnik.

Foto: Grob-Werke Die neue 4-Achs-Maschinen-Baureihe von Grob besteht derzeit aus drei Modellen. 

Die Erwartungen, die Grob mit der 4-Achs-Maschinen-Baureihe verbindet, sind groß. Dazu Rösing: „Im globalen Umfeld sind die Auftragseingangspotenziale von 4-Achs-Maschinen mit einer ähnlichen Beschaffenheit wie die G440, G640 und G840 mit durchschnittlich 4 Mrd. Euro pro Jahr anzunehmen. Wir haben uns als kurzfristiges Ziel gesetzt, bis 2023 einer der wichtigsten 4-Achs-Lieferanten der Welt zu sein und uns nachhaltig im Markt zu etablieren.“ Um diese neuen Herausforderungen stemmen zu können, hat Grob seinen Vertrieb in den letzten Jahren digital neu aufgestellt. „So wurde eine komplett digitale Lead-Marketing-Akquisitionskampagne gestartet, die dazu beitragen wird, dass wir in unseren gewohnten Märkten weitere Kunden finden werden und in neuen Marktsegmenten, wie dem 4-Achs-Maschinenmarkt, optimal Fuß fassen können“, schildert Vertriebs-Geschäftsführer Müller.

4-Achs-Bearbeitungszentren weiter wichtig

4-Achs-Bearbeitungszentren sind also für die Anbieter auch weiterhin ein wichtiges Standbein. Bei Heller beträgt der 4-Achs-Anteil bezogen auf die Stückzahl verkaufter Maschinen etwa 50 %. „Der Anteil wird sich aber unserer Meinung nach reduzieren“, konstatiert COO Maier. „Solange der Markt nach 4-Achs-Maschinen verlangt, werden wir diese auch im Programm behalten und technisch und kostenseitig ‚ajour‘ halten.“ Vergleichbar ist die Situation bei Heckert. Im Jahr 2020 wurden wertmäßig zwar erstmal mehr 5-Achs- als 4-Achs-Maschinen abgesetzt, betrachtet man die Stückzahlen liegen die 4-Achs-Modelle jedoch noch in Führung. Starrag-CSO Attenberger blickt voraus: „4-Achs-Bearbeitungszentren werden weiterhin eine sehr wichtige Rolle im Produktportfolio spielen. Wir werden im dritten Quartal noch weitere Maschinen an den Markt bringen.“

Aus der Sicht von Hurco geht die Tendenz in der Lohnfertigung ganz klar zur 5-Achs-Maschine, was der zunehmenden Komplexität der Teile geschuldet ist. „Aber viele unserer Kunden aus der Lohnfertigung rüsten bei Bedarf ihre 3-Achs-Maschine mit einer vierten Achse auf“, berichtet Sebastian Herr. „Zum Beispiel um Wellen zu bearbeiten oder auch, um sich mit der vierten Achse ein Gegenlager oder eine Spannbrücke in die Maschine zu setzen. Etwa 20 % derjenigen, die bei uns eine 3-Achs-Maschinen kaufen, nutzen dieses Angebot der zusätzlichen Achse.“

Foto: Heller Die vierte Generation der 4-Achs-Baureihe von Heller, hier die H 6000, im Einsatz.