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Die Schnittdarstellung zeigt den Vergleich der Linearführung mit und ohne Umgriff.
Foto: IFW Hannover
Ein völlig neuartiges Führungskonzept entwickelt das IFW Hannover im Rahmen dieses Grundlagen-Forschungsprojektes. Ziel ist auch der Einsatz in Bearbeitungszentren.

Antriebstechnik

Linearführungen neugedacht

Im Rahmen eines Grundlagen-Forschungsprojektes am IFW wird derzeit ein neuartiges Führungskonzept entwickelt. Ziel ist auch der Einsatz in großen Werkzeugmaschinen.

Ist die Realisierung einer präzisen Linearführung möglich, die ohne Umgriff sowohl Zug als auch Druckkräfte aufnehmen kann und die gleichzeitig mit wenig Bauraum auskommt? Im Rahmen eines Grundlagen-Forschungsprojektes am Institut für Fertigungstechnik und Werkzeugmaschinen (IFW) der Leibniz Universität Hannover wird derzeit ein solches neuartiges Führungskonzept entwickelt.

Werkzeugmaschinen benötigen zur Bearbeitung eines Werkstücks mit hoher Präzision genaue Führungen. Die Führung nimmt die entstehenden Bearbeitungskräfte auf und führt das Werkzeug auf einer definierten Bahn. Durch die Steigerung der Produktivität von Werkzeugmaschinen werden immer neue Anforderung an die Präzision, Größe und das dynamische Verhalten von Führungen gestellt. Ein hohes Potenzial bieten hierbei hybride Führungen, bei denen verschiedene Führungskonzepte kombiniert werden. Bislang unerforscht ist die Kombination von Fluidgleitkissen mit einer aktiven elektromagnetischen Führung. Diese Kombination nutzt die Vorteile der hochdynamischen aerostatischen Führung, stellt dabei jedoch viel geringere Anforderungen an die Fertigungstoleranz der Führungsfläche und kommt zudem ohne Umgriff aus. Durch die Nutzung eines aktiv geregelten Elektromagneten ist zudem eine Feinpositionierung möglich.

Hybride Führungen können ohne Umgriff auskommen

Eine Führung ohne Umgriff kann prinzipiell kompakter dimensioniert werden als ein vergleichbares Konzept mit Umgriff. In  Bild 1a ist eine konventionelle Führung mit Umgriff dargestellt. Allein durch Wegfall der Bauteile des Umgriffs kann, wie in Bild 1b dargestellt, der notwendige Bauraum reduziert werden. Hinzu kommt, dass sich eine zusätzliche Gestaltungsfreiheit durch den Wegfall des Umgriffs ergibt, die es ermöglicht, den Kraftangriffspunkt zu optimieren (Bild 1c). Hierdurch lässt sich der Bauraum noch weiter verkleinern während sich die Steifigkeit gleichzeitig erhöht. Bei den in Werkzeugmaschinen häufig eingesetzten Wälzführungen ist jedoch ein Umgriff notwendig, um sowohl Zug- als auch Druckkräfte aufnehmen zu können.

Da konventionelle Wälzführungen ohne Umgriff nur Druckkräfte aufnehmen können, wird die maximale Lastaufnahme und Steifigkeit einer Wälzführung immer durch die Ausführung des notwendigen Umgriffs begrenzt. Gleiches gilt auch für den Einsatz von Gleitführungen. Magnetführungen hingegen können prinzipbedingt ohne Umgriff hingegen nur Zugkräfte aufnehmen und benötigen somit grundsätzlich ebenfalls einen Umgriff. Durch die Kombination einer magnetischen Führung mit Wälz- oder Gleitführungen ist es jedoch potenziell möglich, einen Umgriff zu vermeiden. Bei dem am IFW verfolgten Konzept der umgriffsfreien Führung werden die Zugkräfte durch aktiv geregelte Elektromagneten und die Druckkräfte durch ein spezielles Fluidgleitkissen erzeugt.

Was ist ein Fluidgleitkissen?

Fluidgleitkissen, auch Luftgleitkissen oder Air-Caster genannt, gehören zu den aerostatischen Führungen und werden im industriellen Umfeld häufig zum nahezu reibungslosen Verschieben von schweren Lasten eingesetzt. Bekannt ist das Funktionsprinzip auch von Luftkissenfahrzeugen (engl. Hovercraft). Bei aerostatischen Lagern wird die Druckkraft zwischen dem beweglichen Lagerteil und Lagerfläche durch in den Zwischenraum gepresste Luft aufgenommen. Auf diese Weise können nahezu reibungsfreie, hochpräzise Lager mit einer hohen Lebensdauer hergestellt werden. Um ein zu schnelles Entweichen der Luft zu vermeiden, werden Luftspalte von s = 10 - 20 µm zwischen dem beweglichem Lagerteil und der Lagerfläche realisiert. Allerdings stellen die kleinen Luftspalte in Verbindung mit starren Lagerflächen hohe Ansprüche an die Ebenheit und Oberflächenrauigkeit der eingesetzten Führungsflächen.

Der Vorteil des Fluidgleitkissens ist, dass sich der flexible Balg an die Führungsfläche anpasst. Das Funktionsprinzip eines Fluidgleitkissens ist in Bild 2 dargestellt. Am Markt erhältliche Fluidgleitkissen werden mit einem Versorgungsdruck von bis zu pV = 4 bar betrieben und können Lasten bis zu m = 80.000 kg anheben. Die Luft strömt durch einen Einlass zunächst in einen flexiblen Balg und hebt durch das Aufblasen des Balges die Last an. Anschließend entweicht die Luft aus dem Balg durch ein oder mehrere Öffnungen in eine Kammer unter dem Fluidgleitkissen. Der Lagerinnendruck pLI in dieser Kammer wirkt nach oben auf die Lagerplatte und den Balg und nimmt die Last des Lagers auf. Hierdurch wird der Balg leicht angehoben, sodass ein Luftspalt zwischen Balg und Führungsfläche entsteht. Durch diesen Luftspalt entweicht die Luft unter dem Balg nach Außen und schafft somit einen dünnen Luftfilm zwischen Balg und Lager.

Fluidgleitkissen mit Elektromagneten kombiniert

Auf diesem Luftfilm lässt sich das Lager mit der Last berührungslos verschieben. Der Balg agiert hierbei als Dichtung, die ein zu schnelles Entweichen der Luft im Lager verhindert. Das System ist selbststabilisierend, da bei Entstehen eines zu großen Luftspalts unter dem Balg mehr Luft entweicht als zuströmt und somit der Lagerinnendruck pLI fällt. Da pLI nun geringer ist als der Luftdruck im Balg, dehnt sich der Balg aus und reduziert den Luftspalt automatisch. Der Abstand der Lagerplatte über der Führungsfläche ist dabei abhängig vom Versorgungsdruck pV, dem daraus resultierenden Volumenstrom und der Last FL. Um bei dem am IFW entwickelten Führungsaktor ohne Umgriff auszukommen, wird das Fluidgleitkissen mit einem Elektromagneten kombiniert. Auf diese Weise kann das Fluidgleitkissen Druckkräfte und der Elektromagnet Zugkräfte aufnehmen. Durch die Regelung des Stroms des Elektromagneten, kann somit die Gesamtlast auf das Fluidgleitkissen dynamisch beeinflusst werden. Dies hat den Vorteil, dass im Betrieb eine Steuerung des Luftspalts und somit der Schwebehöhe möglich ist. Ein Entwurf eines solchen hybriden Aktors ist in Bild 3 dargestellt. Zur Umsetzung einer Linearführung müssen mehrere dieser Aktoren kombiniert werden.

Hybride Führung aus Elektromagnet und Fluidgleitkissen

Die hybride Linearführung hat für den kommerziellen Einsatz entscheidende Vorteile. Durch den fehlenden Umgriff kann der Schlitten nach Abschalten der Elektromagneten an beliebiger Stelle entnommen werden, was die Wartung der Anlage aufgrund einfachster Zugänglichkeit erheblich vereinfacht. Bei der Zusammensetzung von Führungsschienen aus mehreren Segmenten kann auf ein Mikrometer genaues Ausrichten verzichtet werden, da Formungenauigkeiten bis zu etwa 500 µm von der Führung aktiv ausgeglichen werden können. Die hybride Führung kann potenziell selbst für große Lasten eingesetzt werden und mit Luft als Medium ist das System auch für den Einsatz im Reinraum geeignet ist.

Erprobung des kombinierten Aktors – Herausforderung Fluid

Voruntersuchungen am IFW haben gezeigt, dass eine solche hybride Führung technisch realisierbar ist. So konnte an einem Demonstrator ein stabiler Schwebzustand eines kombinierten Aktors aus Luftgleitkissen und drei Elektromagneten erreicht werden. Im Rahmen des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Forschungsprojektes wird zukünftig ein solcher Aktor mit Hilfe der Finite Elemente Methode (FEM) und numerischer Strömungsmechanik (CFD) ausgelegt und experimentell erprobt. Eine besondere Herausforderung stellt hierbei die Interaktion des eingesetzten Fluids (Luft) mit dem flexiblen Material des Balgs dar. So ist die Ausformung des Balgs vom Druck außerhalb bzw. innerhalb des Balgs sowie dem Druckverlauf im Luftspalt abhängig. Die Höhe des Luftspalts hsp hängt wiederum von der Verformung des Balgs ab. Diese Interaktionen werden in einer Fluid-Simulation abgebildet.

Schwebehöhe auf 2 µm genau einstellen

Ziel des Projektes ist zunächst die Umsetzung eines Funktionsmusters des hybriden Aktors zur Aufnahme von Druck- und Zugkräften von bis zu FL = ±4.000 N mit einer über einen Bereich von sFl = ±250 µm einstellbaren Schwebehöhe. Hierbei soll die Schwebehöhe auf zwei Mikrometer genau eingestellt werden können. Zur Abstandsmessung werden hochauflösende Wirbelstromsensoren mit einem Messbereich von 2 mm und einer Auflösung von 40 nm eingesetzt. Da Prinzip bedingt die Zugkraft des Elektromagneten mit der Reduzierung des Luftspalts exponentiell zunimmt, ist ein stabiler Schwebezustand nur durch eine schnelle Regelung des Elektromagneten zu realisieren. Erste Abschätzungen haben ergeben, dass eine Regelung mit einer Bandbreite von Ωb = 10 kHz für diese Anwendung ausreichend ist. Mit Hilfe des Funktionsmusters werden Schwebehöhe, Last und Speisedruck variiert und gezielt dynamische Lasten durch einen Shaker erzeugt, um den neuen Aktor zu charakterisieren und zu optimieren. Weiterführend wird eine Linearführung aus sechs Aktoren aufgebaut und evaluiert. Hierbei soll die Führungsbahn aus mehreren Segmenten zusammengesetzt werden, um einen Anwendungsfall in großen Werkzeugmaschinen nachzustellen.

Das Forschungsprojekt „Grundlagen eines berührungslosen Aktors mit bidirektionaler Kraftwirkung für den Aufbau von umgriffsfreien Führungen von spanenden Werkzeugmaschinen“ (Projektnummer 496161268) wird mit Mitteln der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert. Das IFW bedankt sich bei der DFG für die Zusammenarbeit und Unterstützung.

Die Autoren des Beitrages sind: Prof. Dr.-Ing. Berend Denkena, Geschäftsführende Leitung am IFW der Leibniz Universität Hannover; Dipl.-Ing. Heinrich Klemme, Bereichsleiter Maschinen und Steuerungen am IFW.