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Foto: NCFertigung

Thema der Woche 42/2019

Verzahntechnik: "Uns braucht nicht bange sein"

Verzahntechnik ist Spezialistensache. Was Liebherr zu Spezialisten macht, beantwortete Dr.-Ing. Christian Lang, Geschäftsführer Vertrieb und Marketing.

Angesichts der Konzernzahlen stellt die Liebherr-Verzahntechnik GmbH ja eine eher vernachlässigbare Größe dar. Wie lebt es sich mit diesem Wissen?

Mit einem Anteil von um die 2 Prozent am Gesamtumsatz sind wir als Spartengesellschaft Verzahntechnik und Automation in der Tat nicht der größte Umsatzträger im Konzern. Aber wir sind nicht nur der älteste Geschäftsbereich außerhalb der Krantechnik, sondern verkörpern auch die Liebherr-Geschäftsphilosophie, Technologie in kundenorientierten Lösungen anzubieten, in einer nahezu idealen Art und Weise. Wir liefern keine Standardmaschinen, sondern stellen unseren Kunden auf ihre Bedürfnisse zugeschnittene Problemlösungen zur Verfügung. Und bitte nicht vergessen: Wir stellen nur im Verhältnis zu unserer Muttergesellschaft eine – wie Sie sagen – vernachlässigbare Größe dar. In unserer Branche sind wir mit um die 250 Mio. Euro Jahresumsatz und rund 1.400 Mitarbeitern eines der weltweit größten und umsatzstärksten Unternehmen überhaupt. In Europa dürften wir sogar die absolute Nummer 1 sein.

Gibt es eigentlich irgendwelche Synergien durch die Zugehörigkeit zu einem Konzern?

Die gibt es. Vor allem auf dem Vertriebs- und Servicesektor. Liebherr hat weltweit über 140 Niederlassungen, über die wir auf den für uns wichtigen Märkten eine lokale Präsenz schaffen. Auf der anderen Seite gehen zwischen 5 und 10 Prozent unserer Leistung direkt in andere Konzernbereiche.

Aus welchen Branchen kommen Ihre Kunden vorwiegend?

Wir sind da ziemlich breit aufgestellt. Natürlich kommt in erster Linie die Automobilindustrie, wobei wir mehrheitlich in dem Umfeld Heavy Duty Truck, Agriculture and earth moving tätig sind, daneben in dem so genannten Breitenmarkt. Wir haben uns immer sehr bemüht, nicht von einer Branche allein abhängig zu sein, sondern in möglichst viele Bereiche zu liefern.

Mit welchen Argumenten können Kunden überzeugt werden, auf Liebherr zu setzen und beispielsweise nicht auf Gleason, Reishauer, Klingelnberg oder Kapp?

Wir decken die ganzen Bearbeitungsmöglichkeiten rund um die zylindrische Zahnradbearbeitung ab und können darüber hinaus noch Werkzeuge, Messmaschinen und Automationslösungen für die Verzahntechnik aus einer Hand anbieten. Liebherr steht für kundenindividuelle Lösungen, gepaart mit sehr hoher Zuverlässigkeit. Wobei höchste Bearbeitungsgenauigkeit in unserer Branche selbstverständlich, sprich systemimmanent ist. Wir sprechen hier wirklich von µm und Teilen von µm – Größenordnungen, die schon fast nicht mehr messbar sind.

Es ist auffällig, dass international neben den genannten Anbietern nur mehr zwei japanische Hersteller auf dem Markt sind. Warum ist das so?

National gibt es mehrere japanische Hersteller. Doch durch den Nischen-Charakter, oder besser gesagt Spezialisten-Charakter vermochten und wollten nicht alle auch global am Markt anbieten. Manche Automobilisten haben sogar ihre eigenen Verzahnungsmaschinen entwickelt. Die Fähigkeit Verzahntechnik international anbieten zu können, muß man auch vor dem Hintergrund der Komplexität der Aufgabenstellung sehen. Das lässt sich unter anderem auch daran ablesen, dass hinter der Verzahntechnologie ein Werkstück steht, das in Deutschland an zwei international renommierten Lehrstühlen zentraler Kern der Forschung und Lehre ist. Das allein zeigt schon, wie komplex und technisch anspruchsvoll Zahnräder sind.

Lassen Sie uns jetzt über die spezifischen Problemstellungen rund um Verzahntechnik sprechen. Das Vordringen der Elektromobilität birgt für alle Unternehmen, die sich mit Zahnrädern beschäftigen, ein erhebliches Unsicherheitspotenzial. Wie wirkt sich dies für einen Hersteller von Verzahnmaschinen aus?

Natürlich beschäftigt uns diese Problemstellung schon seit einigen Jahren und es gibt darauf nicht nur bei uns noch keine schlüssige und detaillierte Antwort. Nicht einmal die Automobilindustrie hat dazu aktuell eine eindeutige Lösung. Vieles deutet darauf hin, dass die politisch postulierte Zielvorgabe vollelektrifizierter Fahrzeuge nicht von heute auf morgen realisierbar ist und auch nicht in einem einzigen großen Sprung, sondern wenn überhaupt, dann nur in vielen kleinen Zwischenschritten. Der Übergang von der fossilen auf eine wie auch immer geartete zukünftige Technologie wird wohl einige Jahrzehnte in Anspruch nehmen. Politische Einflussnahme einmal außen vor, wenn es nur nach Technologie oder Wirtschaftlichkeit geht, dann kann das nur in einem stufenweisen Prozess abgebildet werden.Die auf unseren Systemen produzierten Zahnräder werden vorwiegend im Umfeld von Getrieben eingesetzt ,und wir glauben nicht an einen „sudden death“ dieser Technologie. Getriebe braucht es beispielsweise nicht nur bei der Hybridtechnologie, sondern es gibt gänzlich unabhängig davon eine ganze Reihe von Wachstumsmärkten – Beispiel Indien – wo alternative elektrische Antriebskonzepte aufgrund der Marktgegebenheiten noch in weiter Ferne sind. Das heißt, klassische Getriebe, und damit Verzahnungsaufgaben, wird es auch weiterhin geben. Nur werden die von den OEM’s vermehrt hin zu den Tier-1- und Tier 2-Suppliern wandern, denn vieles spricht dafür, dass die Automobilhersteller das Getriebe künftig nicht mehr als ein elementares Unterscheidungsmerkmal verstehen, sondern hier vermehrt auf vorhandene, ausgeführte Getriebestandards zurückgreifen. Und was oft vergessen wird, auch Elektroantriebe können nicht auf ein Getriebe verzichten…

… und wie unterscheiden sich die von den klassischen Getrieben?

Es werden weniger Zahnräder gebraucht, weil man hier mit weniger Stufen auskommt. Gleichzeitig wird mit höheren Drehzahlen bis zu 20.000 min-1 gearbeitet, was natürlich mit anderen Anforderungen an Laufruhe und Geräuschentwicklung einhergeht. Das stellt die ganze Verzahnungsbranche vor neue Aufgaben. Beispielsweise denkbar, dass dabei völlig andere Zahnradkonturen erforderlich sind. Ein Elektromotor läuft immer nur in eine Richtung, die Umsteuerung in die gegenläufige Drehrichtung kann elektronisch eingesteuert werden. Wenn aber ein Zahnrad definiert nur in eine Richtung läuft, kann die Kraftverteilung der Fläche optimiert und so letzten Endes Masse und Gewicht eingespart werden.

Mit dem Fortschreiten generativer Verfahren könnte man sich doch auch vorstellen, dass neben den etablierten Verfahren zur Zahnradherstellung neue Technologien eingesetzt werden. Reduziert sich dadurch der Absatzmarkt herkömmlicher Verzahnungsmaschinen?

Eine Frage, die sich jetzt nicht wirklich schlüssig beantworten lässt. Aus heutiger Sicht gilt, dass mit generativen Verfahren die Anforderungen an die Oberflächengenauigkeiten und topologischen Eigenschaften bei weitem nicht abgedeckt werden können. Hinzu kommt, dass wir in aller Regel in einem Stückzahlkorridor tätig sind, die die Produktivität der angesprochenen Verfahren um Größenordnungen überfordern. Mit anderen Worten: Natürlich beobachten wir diese Entwicklungen sehr genau, aber bislang spielen die generativen Verfahren in der Zahnradherstellung noch keine Rolle. Es gibt kein additives Verfahren, das die Genauigkeitsanforderungen an die Topologie einer Zahnradflanke auch nur ansatzweise erreicht. So gesehen, braucht uns vor der Zukunft nicht bange zu sein.

Foto: Liebherr
Im Werk Kempten werden die Grundmaschinen in Fließmontage aufgebaut und dann in Platzmontage kundenspezifisch aufgerüstet.

Verzahntechnik als Kernaufgabe

Nun gibt es aber eine Reihe von Aufgabenstellungen rund um Verzahnungsaufgeben, die sich inzwischen auf Dreh-Fräszentren bestens abdecken lassen. Beispielsweise durch das Skiving-Verfahren oder auch durch intelligente Lösungen bei der Stirnradherstellung. Droht hier den klassischen Verzahnmaschinen nicht ein erweiterter Wettbewerb?

Eine gute und auch berechtigte Frage. Natürlich beobachten wir diese Entwicklung mit Argusaugen, aber wir sehen auch die Grenzen der Einsatzmöglichkeiten. Für einen Anwender, der zwischendurch mal bei einem Werkstück eine Verzahnung herstellen muss, ist das eine akzeptable Alternative. Da lohnt eine Spezialmaschine in aller Regel nicht. Wer aber die Zahnradherstellung als Kernaufgabe hat, stößt bei diesen universellen Maschinen schnell an Grenzen. Dort ist er mit einem Spezialisten deutlich besser bedient, was Teilequalität, Prozessstabilität und Stückzeit und somit –kosten betrifft. In diesem Zusammenhang war der Besuch auf der diesjährigen EMO empfehlenswert. Dort haben wir mit der LK 180/280 DC die neue Generation unserer Wälzschälmaschinen vorgestellt, bei der durch einen maschinenintegrierten Werkzeugwechsler mit bis zu 12 Speicherplätzen – neben dem hauptzeitparallelen Anfasen – die Möglichkeit für zusätzliche Skiving-Plus-Funktionen wie Drehen, Bohren, Fräsen oder Messen integriert ist. Aber wie schon ausgeführt ist das eine Verzahnmaschine, die zusätzliche Funktionsmerkmale am Zahnrad herstellen kann und kein verkapptes Dreh-Fräszentrum.

Stichwort EMO. Was war dort neben der LK 180/280 DC an Innovationen und Neuerungen zu sehen?

In aller Kürze: Absolute Neuheit war die Schneckenfräsmaschine LC 80 WD. Diese eignet sich perfekt für die Serienfertigung von Automobil-Lenkschnecken und für diverse industrielle Schnecken-Applikationen. Weiteres Highlight: Die Schnecken können hauptzeitparallel angefast oder gebürstet werden. Daneben haben wir die Wälzschleifmaschine LGG 180/280 mit einer integrierten Spinning-Station für ölfreie Werkstücke gezeigt. Stichwort: Clean factory. Mit der Wälzstoßmaschine LS 180 E mit elektronischem Stoßkopf lassen sich gerade und schräge Verzahnungen in einer Aufspannung bearbeiten und somit mehrere Verzahnungen an einem Werkstück herstellen.

Und last but not least: Liebherr Messtechnik. Erstmalig ist die Liebherr Verzahntechnik nun mit der WGT-Baureihe auch in der Verzahnungsmesstechnik präsent. Zu den im Standard verfügbaren Optionen der Messmaschinen werden unter anderem auch kundenspezifische Lösungen ausgeführt, wie die Anpassung der Verfahrwege in der Z-Achse, längere Gegenhalter zur Aufnahme von langen Wellen und an die Traglast angepasste Drehtische.