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Die CNC-Bearbeitung ist weiterhin bei einer Reihe von Komponenten bei Elektroautos gefragt. 
Foto: SW
Die CNC-Bearbeitung ist weiterhin bei einer Reihe von Komponenten bei Elektroautos gefragt. 

Thema der Woche 44/2023

Lösungen für die Zerspanung von Giga-Castings

Beim Giga-Casting werden große Strukturbauteile in einem Stück im Druckguss hergestellt. Auch die Zerspanung dieser Bauteile für die Automobilindustrie ist eine Herausforderung.

Nach dem Erfolg von Tesla ziehen Unternehmen wie Volvo nach: Beim Giga- oder Mega-Casting werden Strukturbauteile wie der Unterboden eines Autos nicht mehr aus vielen Einzelteilen zusammengeschweißt, geklebt oder geschraubt, sondern in einem Stück gegossen. Dies führt zu einer maximalen Reduzierung der produzierten Bauteile und zu einem Wegfall der meisten Fügeoperationen im Produktionsprozess. Damit sind Einsparungen in der gesamten Produktionskette möglich. Darüber hinaus sollen Gigabauteile das Gewicht eines Fahrzeugs reduzieren, was besonders in der Elektromobilität gefragt ist: Geringeres Gewicht bedeutet eine höhere Energieeffizienz und damit eine größere Reichweite der Fahrzeuge.

In der Produktion stehen dem jedoch komplexe Anforderungen gegenüber, angefangen bei den riesigen Gießformen und deren Temperierung über den Gießprozess selbst bis hin zur anschließenden Abkühlung und dem damit verbundenen Bauteilverzug. Aber auch nach dem erfolgreichen Druckguss bleiben Gigabauteile anspruchsvolle Komponenten, wie Michael Kreuzberger, Produktmanager bei der Schwäbischen Werkzeugmaschinen GmbH, betont: „Bisher konzentrierte sich die Diskussionen um das Giga-Casting vor allem auf den Druckgussprozess selbst. Damit ist das Giga-Casting jedoch bei Weitem noch nicht abgeschlossen. Auch die spanende Bearbeitung solcher Großgussbauteile birgt einige Herausforderungen, die es zu berücksichtigen gilt.“

Große Maschinen, hoher Platzbedarf

Während einige Unternehmen für den Druckguss bereits spezielle Großmaschinen wie die Gigapress von Tesla entwickelt haben, sieht die Realität bei der CNC-Nachbearbeitung deutlich anders aus. Sie erfolgt häufig noch auf Portalfräsmaschinen aus dem Großteilebau. „Für herkömmliche CNC-Bearbeitungszentren sind die Bauteile aus dem Bereich der Giga-Castings einfach viel zu groß, der Platz in der Maschine reicht nicht aus“, erklärt Kreuzberger. „Die Anlagen aus dem Großteilebau sind andererseits eigentlich zu groß und vor allem zu träge: Eine effiziente Bearbeitung ist auf diesen einspindligen Portalfräsmaschinen kaum möglich, die Bearbeitungszeiten sind zu lang und die Be- und Entladung ist zu zeitaufwendig.“

Die Unternehmen stehen also vor enormen Platzproblemen: Allein die Druckgussmaschinen, die für das Giga-Casting benötigt werden, haben die Größe eines Hauses. Kommen dann noch riesige Portalfräsmaschinen hinzu, stoßen viele Produktionshallen schnell an ihre Grenzen. Nur wenige Unternehmen haben die Möglichkeit, wie Tesla eine neue Produktionshalle in entsprechender Größe auf die grüne Wiese zu stellen.

Taktzeiten werden Automotive-Ansprüchen nicht gerecht

Selbst wenn genügend Platz für große Portalfräsmaschinen vorhanden ist, werden die Bearbeitungszeiten solcher Maschinen im schnell getakteten Automobilbau zum Problem, weil die Maschinen in der Regel über Kugelgewindetriebe als Antrieb verfügen. Dazu Kreuzberger: „Grundsätzlich sind bei der Aluminiumbearbeitung die Nebenzeiten deutlich höher als die reinen Bearbeitungszeiten. Je größer die Werkstücke, desto längere Wege müssen auch die Vorschubachsen zurücklegen und desto mehr Nebenzeiten entstehen zum Beispiel beim Werkzeugwechsel. Kugelgewindetriebe weisen geringere Beschleunigungen und Geschwindigkeiten auf, was zu noch längeren Nebenzeiten führt.“ Kurzum: Maschinen aus dem Bereich der Großteilefertigung können in der Regel nicht die Taktzeiten liefern, die im anspruchsvollen Automobilbereich benötigt werden. Genau hier liegt eine der großen Herausforderungen für die Bearbeitung von Gigabauteilen: Bei Werkstücken dieser Größe die gleichen Geschwindigkeiten zu erreichen, wie sie heute in der Automobilindustrie üblich sind.

Eine weitere Herausforderung ist die Empfindlichkeit der Bauteile: Da beim Druckgießen Spannungen im Werkstück entstehen, sind großvolumige Gussteile anfällig für Verzug. Hinzu kommt, dass gerade bei Elektroautos die Wandstärken der Bauteile möglichst dünn sein müssen, um Gewicht zu sparen. Auch dadurch verziehen sich die Werkstücke leichter. „Die Präzision der Maschine ist nicht das Problem, denn sowohl große Portalfräsmaschinen als auch kleinere Bearbeitungszentren können die geforderten Genauigkeiten problemlos erreichen“, erklärt Kreuzberger. „Viel wichtiger ist, dass die Spannvorrichtung im Bearbeitungszentrum und die Greifertechnik der Automation optimal auf das Werkstück abgestimmt sind, um ein Verspannen während der Bearbeitung zu vermeiden.“

Höhere Geschwindigkeit dank Linearmotor

Eine Lösung für die Sensibilität der Gigabauteile bei der Bearbeitung nennt Kreuzberger: „Die Spannvorrichtung wird speziell für das jeweilige Bauteil passgenau entwickelt. Wichtig ist eine gute Beratung und Zusammenarbeit mit dem jeweiligen Hersteller. Wir haben bei SW eine eigene Abteilung, die sich ausschließlich darum kümmert, in enger Absprache mit unseren Kunden eine optimale Abstimmung zwischen Spannvorrichtung und Werkstück zu gewährleisten.“

Schwieriger wird es schon bei den geforderten Taktzeiten. Hier sind geeignete Maschinen mit hoher Dynamik gefragt, die den nötigen Platz für die Gigabauteile bieten. In jedem Fall sollten Anwender auf Anlagen mit Linearmotoren setzen. Der Direktantrieb eines Linearmotors erzeugt die gewünschten Bewegungen ohne mechanische Übertragungselemente. Dadurch erreicht er maximale Beschleunigungen und hohe Verfahrgeschwindigkeiten und arbeitet zudem verschleißfrei. „Die schnellsten CNC-Maschinen auf dem Markt arbeiten alle mit Linearmotoren und Torque-Motoren, auch die meisten unserer eigenen Maschinen“, so Kreuzberger. „Außerdem setzen wir auf einen gewichtsoptimierten Aufbau. Damit reduzieren wir die Nebenzeiten und minimieren die Taktzeiten. Unsere Bearbeitungszentren erreichen Beschleunigungswerte von über 2g und Eilganggeschwindigkeiten von 120 m/min.“ Um genau diese Geschwindigkeit auch für größere Werkstücke nutzbar zu machen, hat SW bereits 2021 die BA space3 auf den Markt gebracht. Diese Maschine verbindet hohe Taktzahlen mit dem Platz für Großgussteile. Noch mehr Geschwindigkeit erreichen die Anwender nur mit Mehrspindlern.

SW-Maschine setzt auf Mehrspindligkeit

Derzeit gibt es auf dem Markt kaum mehrspindlige Maschinen für Großgussteile. Doch SW arbeitet bereits an einer Maschine, die den Zweispindler in die space-Baureihe einführen soll. „Eine Besonderheit im Vergleich zu unseren anderen Mehrspindlern: Die beiden Spindeln werden völlig unabhängig voneinander arbeiten“, sagt Kreuzberger. „Wir verwenden zwei autonome Dreiachseinheiten, um maximale Flexibilität bei unterschiedlichen Bauteilen zu ermöglichen.“ Bei Bauteilen mittlerer Größe können beide Spindeln wie gewohnt parallel jeweils ein Bauteil bearbeiten. Bei großen Bauteilen hingegen, bei denen nur ein Werkstück in die Maschine passt, können beide Spindeln gleichzeitig an einem Werkstück arbeiten und unabhängig voneinander die Werkzeuge wechseln. Die hauptzeitparallele Beladung über einen Doppelschwenkträger sorgt für eine weitere Taktzeitreduzierung. Damit können Gigabauteile wie der hintere Unterboden eines Teslas in nur 1,5 Minuten bearbeitet werden – fast doppelt so schnell wie mit Maschinen mit nur einer Spindel.

„Mit der rasanten Entwicklung der Elektromobilität wird das Giga-Casting in den nächsten Jahren weiter an Bedeutung gewinnen“, resümiert Kreuzberger. „Auch andere Automobilhersteller prüfen derzeit die Vor- und Nachteile des Einsatzes von Großgussteilen. Vor allem die asiatischen OEM setzen bereits sehr stark auf Giga-Castings und bauen diese erfolgreich ein. Wir wollen unseren Beitrag dazu leisten, dass die Vorteile dieses Verfahrens überwiegen und die Herausforderungen auch in der Zerspanung problemlos bewältigt werden können.“

rk