Image
Das IFW Hannover erforscht die Spanntechnik von morgen. Hier im Bild 1 das neue Spannkonzept mit dem Allspann-System, bei dem die Fixierung des Werkstücks durch das Zusammenwirken mehrerer Spannmodule erfolgt.
Foto: IFW
Das IFW Hannover erforscht die Spanntechnik von morgen. Hier im Bild 1 das neue Spannkonzept mit dem Allspann-System, bei dem die Fixierung des Werkstücks durch das Zusammenwirken mehrerer Spannmodule erfolgt.

Spanntechnik

Drei Innovationen in der Spanntechnik

Intelligent und vernetzt: Das IFW Hannover zeigt innovative Spannmittel-Konzepte im Bereich der Digitalisierung, Automatisierung und Energieeffizienz. 

Auf der diesjährigen Weltleitmesse für Produktionstechnologie, der EMO in Hannover, wurden viele aktuelle Technologietrends der Werkzeugmaschinenbranche vorgestellt. Im Bereich der Spannmittel waren Trends hinzu intelligenten und vernetzten Systemen klar erkennbar. Intelligente Systeme mit integrierter Spannkraftmessung, die Automatisierung und Digitalisierung von Werkzeug- und Werkstückwechseln sowie die Flexibilisierung von Spannsystemen durch Schnellspannkonzepte wurden von namenhaften Spannmittelherstellern präsentiert.

Innovative Konzepte für Werkstück- und Werkzeugspannsysteme

Vor dem Hintergrund immer kleiner werdender Losgrößen, zunehmender Produktindividualisierung und komplexer Fertigungsverfahren, besteht ein hoher Bedarf an prozessspezifischen Informationen mit dem Ziel der Überwachung und Steuerung von Fertigungsprozessen. Aufgrund ihrer Nähe zum Prozess sowie durch neue Sensor- und Digitalisierungstechnologien, eignen sich insbesondere Spannsysteme als Informationsquellen für Prozess- und Zustandsdaten.

Daneben rückte auf der EMO auch das Thema der Energieeffizienz in den Vordergrund. Im Kontext der steigenden Energiekosten und in vielen Bereichen vorherrschender Ressourcenknappheit entwickeln immer mehr Hersteller effizientere und langlebigere Systeme. Auch das Institut für Fertigungstechnik und Werkzeugmaschinen (IFW) der Leibniz Universität Hannover erforscht und entwickelt seit vielen Jahren eine Vielzahl an innovativen Konzepten im Bereich der Digitalisierung, Automatisierung und Energieeffizienz von Werkstück- und Werkzeugspannsystemen. In diesem Beitrag werden einige der aktuellen Projekte des IFW vorgestellt.

Additiv gefertigte Bauteile ohne Umspannen bearbeiten

Mithilfe von additiven Fertigungsverfahren eröffnen sich neue Möglichkeiten bei der Gestaltung von Bauteilen. Durch den schichtweisen Aufbau können Bauteile nahezu beliebiger Geometrie hergestellt werden. Besonders in der Produktion von Leichtbaustrukturen sind additive Fertigungsverfahren weit verbreitet. Die Herausforderung bei additiven Verfahren liegt jedoch in der Herstellung von Funktionsflächen mit präzisen Form- und Lagetoleranzen. Um präzise Endkonturen zu erzielen, müssen additiv gefertigte Bauteile spanend nachbearbeitet werden. Aufgrund ihrer oft komplexen Geometrien ohne planare oder zylindrische Spannflächen stellen additiv gefertigte Bauteile eine Herausforderung für konventionelle Spannkonzepte dar. Dadurch ist häufig ein individueller und damit kostenintensiver Vorrichtungsbau notwendig. Das Ziel des Projektes ist die Realisierung eines modularen Spannsystems zur mehrseitigen Bearbeitung von additiv gefertigten Bauteilen ohne Umspannen. Ein vielversprechender Ansatz ist hierbei die Nutzung eines formflexiblen Spannsystems. Dieses Konzept wird derzeit am IFW im KMU-innovativ Verbundprojekt „AllSpann“ entwickelt. Eine Besonderheit des Systems stellt die Möglichkeit des Rückzugs der einzelnen Spannmodule mithilfe von Lineareinheiten dar. Somit wird selbst die Bearbeitung der Spannflächen ermöglicht.

Spannmodul mit unterlagerter Lineareinheit kombinieren

In Bild 1 ist das neuartige Spannkonzept schematisch dargestellt. Bei diesem Ansatz erfolgt die Fixierung des Werkstücks durch das Zusammenwirken mehrerer Spannmodule. Jedes dieser Spannmodule besteht aus einem Raster von verschieblich gelagerten Stiften, die sich der Formkontur des Werkstücks anpassen und somit eine Negativform des Werkstücks bilden (Bild 1a). Die Stifte sind verschieblich gelagert, können jedoch in einer definierten Position arretiert werden, sodass eine sichere Fixierung im Prozess erzielt wird. Dieses Prinzip gleicht dem Funktionsprinzip konventioneller Formspannbacken. Doch im Vergleich zu am Markt verfügbaren flexiblen Spannmodulen wird im Rahmen des Forschungsprojekts "AllSpann" das Spannmodul mit einer unterlagerten Lineareinheit kombiniert. Dadurch wird eine präzise Positionierung des Spannmoduls entlang der X-Achse ermöglicht (Bild 1b), sodass die Spannstelle durch das Wegfahren der Spannbacke für die spanende Bearbeitung freigegeben wird. Um weiterhin die sichere Fixierung des Werkstücks zu garantieren, werden mehr Spannmodule zur Einspannung des Werkstücks verwendet, als für eine statische Bestimmtheit notwendig wären. Nach der Bearbeitung einer Spannfläche wird das Spannmodul erneut mit dem Werkstück in Kontakt gebracht. Somit wird die ursprüngliche Spannsituation wiederhergestellt und die Bearbeitung der nächsten Spannfläche ermöglicht. Dieser Ansatz erlaubt dadurch die Bearbeitung von Spann- und Funktionsflächen ohne Umspannen. Ein Mehraufwand durch zusätzliche Umspannvorgänge kann so vermieden werden. Rüst- und Nebenzeiten werden signifikant reduziert.

Image
Bild 2: Aufbau des CyberChuck-Spannfutters, das für die universelle Spannung dünnwandiger Werkstücke entwickelt wurde und mit dem die Spannkraft gemessen und adaptiv eingestellt werden kann.
Foto: IFW
Bild 2: Aufbau des CyberChuck-Spannfutters, das für die universelle Spannung dünnwandiger Werkstücke entwickelt wurde und mit dem die Spannkraft gemessen und adaptiv eingestellt werden kann.

Prozesse kontrollieren mit elektrischem Drehspannfutter

Zum sicheren Spannen von Werkstücken beim Drehen werden üblicherweise Spannfutter mit drei oder vier Backen eingesetzt. Bei dünnwandigen Werkstücken führen die Spannkräfte der Backen zur Deformation des Werkstücks und somit nach der Bearbeitung zu Formabweichungen. Daher ist das Einhalten einer minimalen, aber hinreichend hohen Spannkraft der Schlüssel zur Reduzierung von Fertigungsfehlern. In der Forschung bestehen herkömmliche Ansätze zur Abschätzung der geeigneten Spannkraft für dünnwandige Werkstücke aus zeitaufwändigen FE-Simulationen oder analytischen Berechnungen. Diese sind in der industriellen Fertigung von kleinen Losgrößen jedoch nicht praktikabel. Am Markt existieren bereits aktive Spannfutter zur Spannkrafteinstellung, welche sich jedoch nur für bestimmte Werkstückdurchmesser oder Fertigungsverfahren eignen. Am IFW wurde daher im vom BMBF geförderten Projekt „CyberChuck“ ein neuartiges elektrisches Spannfutter für die universelle Spannung dünnwandiger Werkstücke entwickelt, mit dem die Spannkraft gemessen und adaptiv eingestellt werden kann.

Spindeln über Kupplungselement mechanisch parallelgeschaltet

Der Aufbau des Spannfutters ist in Bild 2 dargestellt. Dieser setzt sich aus zwei Modulen zusammen: Einem Standard-Vier-Backen-Futter (HWR VT-S031) und einer Aktoreinheit mit vier elektrischen Servoantrieben (Harmonic Drive SE FHA-14C). Mit einer Gewindespindel wird die Rotationsbewegung des Motors in eine lineare Positionierbewegung zum Verfahren der Zugstange übertragen. Die Spindeln sind über ein Kupplungselement mechanisch parallelgeschaltet, um die Betätigungskraft Fact zu übertragen.

Image
Bild 3: Versuchssetup und Ergebnisse der Versuche zur Spannkrafteinstellung.
Foto: IFW
Bild 3: Versuchssetup und Ergebnisse der Versuche zur Spannkrafteinstellung.

Die Ansteuerung und Regelung des sensorischen Spannfutters erfolgt über vier Mess- und Steuerungsmodule EJ7411 der Beckhoff Automation GmbH & Co. KG. Jedes Modul kann die Antriebssignale (Motorstrom Im, Antriebsposition p) innerhalb eines geschlossenen Regelkreises messen und regeln. Somit kann die Spannkraft Fspann aus der gemessenen Antriebsposition p und dem Motorstrom Im rekonstruiert werden. Der Zusammenhang zwischen Antriebsposition und Spannkraft wurde bei verschiedenen Vorschubgeschwindigkeiten vf (vf,12,5%, vf,50%, vf,100%) der Servoantriebe experimentell bestimmt.

Vorschub hat Einfluss auf die resultierende Spannkraft

In Bild 3 wird beispielhaft eine aufgezeichnete Versuchsreihe aus fünf Einzelmessungen zur Spannkrafteinstellung bei gleicher Vorschubgeschwindigkeit vf,50% = 400.000 inc/s dargestellt. Die Versuchsergebnisse lassen einen progressiven Zusammenhang zwischen dem Aktorpositonssignal s und der Spannkraft Fspann erkennen. Es konnte eine maximale Spannkraft von 112 kN aufgebracht werden. Der maximale absolute Spannkraftfehler zwischen den fünf Messungen beträgt ΔFSpann = 350 N. Dies entspricht einen relativen Spannkraftfehler von ΔFrel = 0,31 %. Im Vergleich zu herkömmlichen Spannfuttern (ΔFrel ≈ 10 %) wird somit ein wesentlich geringerer Spannkraftfehler erreicht. Da die Formabweichung des Werkstücks proportional zur Spannkraft ist, wird angenommen, dass die resultierenden Geometrieabweichungen in gleichem Maße reduziert werden können. Weiterhin konnte gezeigt werden, dass eine Variation der Vorschubgeschwindigkeit einen Einfluss auf die resultierende Spannkraft hat. Zur Minimierung des Spannkraftfehlers wurde daher der Einfluss der Vorschubgeschwindigkeit innerhalb einer mehrdimensionalen Lookup-Tabelle (Fspann, vf, p) berücksichtigt. Der resultierende Spannkraftfehler konnte dadurch um 71 % gesenkt werden.

Image
Bild 4: Herkömmliches Spannsystem und Prototyp des Formgedächtnisaktors aus FGL-Spann.  Mit dem ZIM-Kooperationsprojekt wird ein innovativer Ansatz eines Werkzeugspannsystems erforscht, um die Federpakete und die hydraulischen Löseeinheit mit einem energieeffizienten bidirektional wirkenden Aktor auf Basis von Formgedächtnislegierungen (FGL) zu ersetzen.
Foto: IFW
Bild 4: Herkömmliches Spannsystem und Prototyp des Formgedächtnisaktors aus FGL-Spann.  Mit dem ZIM-Kooperationsprojekt wird ein innovativer Ansatz eines Werkzeugspannsystems erforscht, um die Federpakete und die hydraulischen Löseeinheit mit einem energieeffizienten bidirektional wirkenden Aktor auf Basis von Formgedächtnislegierungen (FGL) zu ersetzen.

Energieeffizientes Werkzeugspannen mit Formgedächtnisaktor 

Herkömmliche Werkzeugspannsysteme nutzen Federpakete zur Aufbringung der notwendigen Spannkraft Fspann. Das Lösen der Werkzeugaufnahme wird mittels einer hydraulischen Löseeinheit realisiert (Bild 4). Der wesentliche Nachteil dieser Systeme, liegt in deren hohem Energiebedarf für das stetige Aufrechterhalten des hydraulischen Arbeitsdrucks. Am IFW wird daher im ZIM-Kooperationsprojekt „FGL-Spann“ ein innovativer Ansatz eines Werkzeugspannsystems erforscht, um die Federpakete und die hydraulischen Löseeinheit mit einem energieeffizienten bidirektional wirkenden Aktor auf Basis von Formgedächtnislegierungen (FGL) zu ersetzen.

Der Arbeitsbereich von FGL-Aktorik ist aufgrund ihrer hohen Energiedichte vergleichbar mit dem eines herkömmlichen Hydraulikaktors. Aktoren aus thermischen FGL zeichnen sich dadurch aus, dass eine Längenänderung durch die Einbringung von Energie in Form von Wärme erfolgt. Dies ermöglicht die Realisierung definierbarer Kräfte und Stellbewegungen. Beim anschließenden Abkühlen kehrt der Aktor automatisch in seinen Ursprungszustand zurück. Der bidirektionale Zustandswechsel, auch Zwei-Wege-Effekt genannt, basiert auf dem Umklappen der molekularen Gitterstruktur zwischen der Martensit- (kalter Zustand) und der Austenitphase (warmer Zustand). Unter Ausnutzung des bidirektionalen Zustandwechsels können so im FGL-Aktor beide Funktionen herkömmlicher Systeme, d.h. das Spannen und auch das Lösen der Werkzeugaufnahme, kombiniert werden. Dies ermöglicht die Substitution der hydraulischen Löseeinheit sowie der Federpakete.

Neuartiges Werkzeugspannsystem

Im Konzept des neuartigen Werkzeugspannsystems (Bild 4a) ist ein thermisch aktuierter FGL-Spannmechanismus vorgesehen. Durch elektrisches Widerstandsheizen wird die Wärme für den Zustandswechsel zum Aufbringen der Spannkraft Fspann in das Spannsystem eingebracht. Das Abkühlen erfolgt mithilfe erzwungener Konvektion durch das Einleiten eines Luftstroms, um die notwendige Lösekraft zu realisieren. Das Konzept sieht eine Parallelschaltung von 20 Aktordrähten aus der Legierung NiTiCu7,5 vor. Die Legierung zeichnet sich durch hohe erreichbare Dehnungen von ε = 8 % und der hohen maximal zulässigen mechanischen Spannung von σzul = 300 MPa aus. Dadurch kann eine Gesamtspannkraft von Fspann = 10,6 kN und ein maximalen Spannhub von ∆h = 7,5 mm realisiert werden. Durch die gewählte Parameterkombination bei der Auslegung des Aktors wird darüber hinaus eine Lebensdauer von mehr als zwei Millionen Zyklen erwartet. Die Aktordrähte werden mithilfe von Madenschrauben in der Drahtaufnahme sowie dem Drahtklemmring fixiert. Um ein Abknicken der Drähte während der Aufbringung der Lösekraft Flöse zu verhindern, wurden drei Drahtführungen zwischen der Drahtaufnahme und dem Drahtklemmring vorgesehen. Ausgehend von den experimentellen Analysen einzelner Aktordrähte sowie einer simulativen Optimierung des Aktorkonzepts wird vsl. Ende des Jahres ein erster Aktorprototyp gefertigt und in Betrieb genommen sein.

Spanntechnik im Fokus des IFW Hannover

Durch enge Kooperationen mit Industriepartnern entwickelt und erforscht das IFW Hannover neuartige Spannkonzepte im Rahmen von Forschungsarbeiten und bilateralen Projekten. Für interessierte Firmen aller Branchen besteht die Möglichkeit am kostenlosen „Runden Tisch Spanntechnik“ des IFW teilzunehmen. Beim Runden Tisch werden aktuelle Herausforderungen wie die Transformation zu digitalisierten und vernetzten Spannmitteln, Industrie 4.0-Anwendungen oder der Wandel zu neuen Fertigungstechnologien thematisiert. Ein Fokus stellen Impulsvorträge aus der Industrie sowie aktuelle Forschungsergebnisse aus dem IFW dar. So werden durch den intensiven Austausch zwischen Forschung und Industrie Synergien gebündelt sowie anwendungsnahe und niedrigschwellige Lösungen für die Teilnehmer geschaffen. 

Die Autoren danken dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) für die Förderung des Forschungsprojektes „Cyberchuck“ (Förderkennzeichen 02P18K601), sowie bei Herrn Michael Petzold (Projektträger Karlsruhe, PTKA-PFT) für die Unterstützung bei der Beantragung des Projektes. Ebenso beim Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und dem BMBF für die Förderung des Forschungsprojektes „AllSpann“ (Förderkennzeichen 02P20K502) im Rahmen eines KMU-innovativ Verbundprojekts. Zudem dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) für die Förderung des Forschungsprojektes "FGL-Spann" (Fördernummern KK5032714KP1 und KK5053603KP1) im Rahmen einer ZIM-Förderung (Zentrales Innovationsprogramm Mittelstand). Mehr Infos hier auf der Website des IFW Hannover.