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Drehmaschinen

Dreh-Fräszentrum für die Schneckenherstellung der Zukunft

Bei Arburg sollte die Schneckenherstellung flexibler werden. Als Ideallösung entpuppte sich ein spezifisch aufgerüstetes Dreh-Fräszentrum von Weingärtner.

Die Zukunftstechnologie für die Schneckenherstellung suchte Arburg und fand ein Dreh-Fräszentrum von Weingärtner. Für Nachtschwärmer im Raum Loßburg bot sich in einer Winternacht Ende Februar 2018 ein bemerkenswertes Schauspiel. Eine Polizeieskorte lotste einen Schwertransporter vorbei an abmontierten Verkehrsschildern von der Autobahnanschlussstelle Rottenburg der A 81 bis nach Loßburg zum Werksgelände der Arburg GmbH + Co KG. An Bord die Hauptkomponente, sprich das Maschinenbett, eines neuen Bearbeitungszentrums. Mit einem Gewicht von rund 45 t und einer Länge von mehr als 20 m ein wahrlich nicht alltäglicher Anblick. Rechnet man noch die zwei zusätzlich nötigen Sondertransporte für die restlichen Anlagenteile dazu, eine tatsächlich imponierende Erscheinung.

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Das Weingärtner Dreh-Fräszentrum der Baureihe pick up 400 ist speziell für die automatische Fertigung von Schnecken für Spritzgussautomaten konzipiert.

Geliefert wurde das Bearbeitungszentrum vom österreichischen Großmaschinenspezialist Weingärtner, der zu seinem Maschinenkonzept auch mit dem spezifisch für die Schneckenfertigung entwickelten Softwarepaket „wein-CAD“ aufwarten kann.

Eigenfertigungsanteil von rund 60 %

Kein Wunder also, dass man auch bei Arburg die Lösungskompetenz des Kirchhamer Familienunternehmen aufmerksam beobachtete und bei der Neuausrichtung der Schneckenfertigung Kontakt aufnahm. Bis dahin wurden in Loßburg die benötigten Schnecken auf speziellen Wirbelmaschinen hergestellt, aber die Verantwortlichen haben sich entschieden, künftig auf die flexiblere Frästechnologie setzen.

Fertigung in Losgröße eins

Arburg produziert ausschließlich im deutschen Stammwerk, das rund 180.000 m² Nutzfläche umfasst. Der Eigenfertigungsanteil liegt bei rund 60 %. Trotz der relativ hohen Stückzahlen wird oft auch in Losgröße eins gefertigt, weil die Spritzgießmaschinen modular aufgebaut sind und nach konkreten Kundenanforderungen konfiguriert werden. Und natürlich soll alles möglichst schnell lieferfertig sein, denn in der kunststoffverarbeitenden Industrie wird in aller Regel erst dann in zusätzliche Kapazitäten investiert, wenn dahinter ein konkreter Auftrag steht. Für Arburg heißt das, es werden keine Maschinen auf Lager produziert, sondern die Produktion wird erst mit der Bestellung angeschoben.

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Das Weingärtner-Bearbeitungszentrum mpmc 400 ist mit Automation und zusätzlichen Komponenten rund 25 m lang.

Komplettbearbeitung Maß der Dinge

Dazu Dipl.-Ing. Stefan Holzer, Gruppenleiter Produktionsplanung und Prozessoptimierung: „Es gehört schon seit Jahrzehnten zur Arburg-DNA, möglichst alle Komponenten fertig bearbeitet von der Maschine zu bekommen. Komplettbearbeitung ist dabei logischerweise das Maß aller Dinge. Bei der kubischen Bearbeitung und weiten Bereichen der rotationssymmetrischen Werkstücke wie Kolbenstangen, Zylinderrohre oder Plastifizierzylinder haben wir diese Forderung realisiert. Schwieriger war dies beim Herstellen von Schnecken, weil wir hier weitgehend spezielle Wirbelmaschinen im Einsatz hatten.“ Wobei, wie Holzer weiter ausführt, die Wirbeltechnologie einen grundsätzlichen Nachteil mit sich bringt. „Das Wirbeln ist ganz klar eine Nischentechnologie. Es gibt nur sehr wenige Hersteller von Wirbelplatten und das führt zwangsläufig dazu, dass in diesem Bereich die Innovationsgeschwindigkeit, zum Beispiel im Vergleich zu Fräswerkzeugen, deutlich langsamer ist.“

Unterschiedliche Füllmaterialien für hochtechnische Kunststoffe

Da aber gleichzeitig die Anforderungen an die Förderschnecken ständig steigen, ist dies ein echter Nachteil. Der Gruppenleiter erklärt: „Auf unseren Maschinen werden in aller Regel hochtechnische Kunststoffe verarbeitet, die mit unterschiedlichen Füllmaterialien wie Glasfasern angereichert sind. Das Ergebnis sind immer neue Werkstoffe, die alle hohe Anforderungen an die Plastifizierschnecken stellen. Gleichzeitig werden die Geometrien immer komplizierter und die Werkstoffe immer schwieriger zu zerspanen. Die Extruderrohlinge sind häufig gepanzert, beschichtet oder mit Stelliten besetzt. Mit anderen Worten: Alles was einen Werkstoff hochabrasiv und hochkorrosionsfest macht erschwert seine Bearbeitung.“

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Dem Dreh-Fräszentrum ist eine komplette Automation vorgeschaltet, so dass die Anlage mannarm gefahren werden kann.

Schwer zerspanbare Werkstoffe in der Schneckenherstellung

Daher waren sich bei Arburg die Verantwortlichen schon vor Jahren darüber einig, dass die Zukunftstechnologie bei der Schneckenbearbeitung nur Fräsen heißen kann. Vor allem auch deshalb, weil sich dadurch die Flexibilität der Fertigung deutlich erhöhen lässt. Holzer umschreibt das so: „Beim Einsatz einer Nischentechnologie sind wir in die ganze Entwicklung, Beispiel Wirbelaggregate, stark involviert, beim Fräsen steht uns ein breites Feld von potenziellen Werkzeuganbietern zur Seite.“

Programmiertool hat überzeugt

Also suchte man nach einem Maschinenhersteller, der in der Lage war, das umfangreiche und mit vielen Neuerungen versehene Pflichtenheft umzusetzen. Schnell schälte sich dabei Weingärtner als der geeignetste Lieferant heraus. Dazu noch einmal Holzer: „Wir haben uns von der hohen technischen Kompetenz bezüglich der Mechanik von Weingärtner überzeugen können. Neben den maschinenbautechnischen Pluspunkten hat uns dabei vor allem das integrierte Programmiertool überzeugt. Damit können wir die unterschiedlichsten Konturen der Plastifizierschnecken mit nur wenigen Werkzeugen abdecken und müssen so werkzeugseitig nicht einen größeren Aufwand betreiben.“

Selbst entwickelte Software

Klaus Geissler, Vertriebsleiter der Weingärtner Maschinenbau GmbH, erklärt: „Mit unserem selbst entwickelten Softwarepaket wein-CAD, lassen sich alle bekannten Schneckengeometrien programmieren, auch Schnecken bei denen ein zweiter Schneckengang mit Barrieresteg die Schmelze vom Restgranulat trennt. Bis heute ist kein noch so modernes CAD/CAM-System auf dem Markt, das Vergleichbares leistet. Neben der verfahrenstechnischen Entwicklung über die Geometrieauslegung bis hin zum automatisch generierten Programm für die Steuerung beherrscht das Softwarepaket auch die 3D-Simulation aller Bearbeitungsverfahren.“

Ein Stück Zukunftssicherheit mit dem neuen Dreh-Fräszentrum

Maschinenseitig kommt mit der pick up 400 zudem eine ganze Menge Zukunftssicherheit in die Arburg-Fertigung. Dazu noch einmal Holzer: „Arburg kommt aus dem Bereich der kleineren Spritzgießmaschinen, aber unsere Kunden haben uns immer wieder dazu gedrängt, auch größere Systeme zu liefern. Das bedeutet aber auch, dass unsere Produktionsmittel im gleichen Maß mitwachsen müssen. Für uns ist der Einsatz des Weingärtner-Dreh-Fräszentrums auch ein gutes Stück Zukunftssicherheit. Wir können damit in einen größeren Durchmesser- und Längenbereich vorstoßen sowie gleichzeitig unsere Fertigungsverfahren an die erweiterten Möglichkeiten moderner Maschinen anpassen. Wobei wir die mechanischen Eigenschaften der pick up noch bei weitem nicht ausschöpfen.“

Schnecken bis 4.700 mm Länge

Derzeit gibt es noch ein breites Produktspektrum, das weiterhin über die Wirbeltechnologie abgedeckt wird. „Wir haben Hunderte unterschiedliche Plastifizierschnecken und sind derzeit immer noch damit beschäftigt für einige davon Programme für die Fräsbearbeitung zu erstellen. So gesehen befinden wir uns immer noch in der Anlaufphase“, erläutert der Gruppenleiter. Er ist sich trotzdem mehr als sicher, dass die Maschine mit all den gemeinsam entwickelten Features für Arburg schon jetzt ein klarer Wettbewerbsvorteil ist. Das Weingärtner-Dreh-Fräszentrum der Baureihe pick up 400 ist speziell für die automatische Schneckenherstellung für Spritzgussautomaten konzipiert. Auf ihr können Schnecken bis zu einem maximalen Durchmesser von 160 mm und einer Länge von 6.000 mm (bei Arburg bis 4.700 mm) bei einem maximalen Werkstückgewicht von 1.200 kg bearbeitet werden. Dafür steht ein Fräsaggregat mit 45 kW und 275 Nm bei 1.560 min-1 zur Verfügung. Als maximale Drehzahl wird 14.000 min-1 angegeben, wobei all diese Werte bei 100 % Einschaltdauer, sprich kontinuierlichem S1-Betrieb gelten.

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Automation ist vorgeschaltet

Neben diesen Leistungsdaten bietet die pick up 400 noch einige spezifische Feinheiten. So stehen zwei unabhängige Bearbeitungszellen zur Verfügung, sodass sich zwei Werkstücke gleichzeitig bearbeiten lassen. Vor allem aber ist eine komplette Automation vorgeschaltet, sodass die Anlage mannarm gefahren werden kann. Vertriebsleiter Geissler betont: „In die neue pick-up-Baureihe sind nicht nur die Stärken der pick-up-classic-Baureihe wie das Spannkonzept mit Prismenbackenlünetten eingeflossen, sondern auch leistungsverstärkende Elemente aus unseren mpmc-Dreh-Fräszentren.“

Folgeinvestitionen bestätigen die Zufriedenheit mit Dreh-Fräszentrum

Wie sehr diese Lösung überzeugt, lässt sich nicht zuletzt anhand von Folgeinvestitionen ablesen. Derzeit wird in Loßburg eine mpmc 400 aufgebaut und zudem steht eine CNC-Bandpoliermaschine mit 3-fach-Schleifkopf kurz vor der Auslieferung. Abschließend noch einmal Holzer: „Mit dem Weingärtnerteam haben wir ausschließlich gute Erfahrungen gesammelt. Wir haben immer eine tiefe Bereitschaft gespürt, unsere Vorstellungen in ein Maschinenkonzept umzusetzen. So wurde beispielsweise als Novum ein Werkzeugschnittkraftsystem integriert. Vor allem aber hat uns die hohe technische Kompetenz der Mannschaft dort überzeugt und wir können heute sagen, dass sich unser damaliger Eindruck durch unsere Erfahrungen mit der pick up 400 absolut bestätigt hat.“

Helmut Anglei

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