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Foto: IFW Hannover
Neue Drehprozesse brauchen neue Prozesskraftmodelle: Das IFW Hannover ermittelt bei variierten Schnittgrößen die Prozesskräfte mittels spindelintegrierter Sensorik. Hier beim Drehen mit Rotation um die B-Achse.

Thema der Woche 37/2021

Wie groß sind die Prozesskräfte neuer Drehprozesse?

Neue Drehprozesse weisen gegenüber konventionellem Drehen andere Spannungsquerschnitte und Kinematiken auf. Das IFW hat dafür neue Prozesskraftmodelle kreiert.

Für neue Drehprozesse neue Prozesskraftmodelle. Die Forschenden des Instituts für Fertigungstechnik und Werkzeugmaschinen (IFW) der Leibniz Universität Hannover haben deshalb ein simulationsbasiertes Prozesskraft-Modell für neuartige Drehprozesse wie zum Beispiel das dynamische Stechdrehen entwickeln. „Die neuartigen Drehprozesse weisen gegenüber dem konventionellen Drehen abweichende Spanungsquerschnitte und Kinematiken auf. Etablierte Prozesskraftmodelle können aufgrund der deutlich abweichenden Kinematiken nicht unmittelbar angewendet werden“, erläutert Projektmitarbeiter Felix Zender.

IFW entwickelt Prozesskraft-Modell für neuartige Drehprozesse

Die neuartigen Drehprozesse steigern die Produktivität und verbessern die Bauteilqualität und finden deshalb zunehmend Anwendung in der Industrie. Felix Zender erklärt: „Die komplexe Prozesskinematik dieser Fertigungstechniken erfordert für die Prozessauslegung vertiefte Kenntnisse der auftretenden Prozesskräfte, um unter anderem die Werkstückspannung korrekt auszulegen. Derzeit sind keine ausreichenden Kenntnisse über die Prozesse und somit über die Prozesskräfte dieser Fertigungstechniken verfügbar.“ Im Forschungsprojekt ‘Cla Fo Turn’ des IFW ermitteln die Projektmitarbeitenden die Prozesskräfte dieser Fertigungstechniken für ein simulationsbasiertes Prozesskraft-Modell. 

Forschungsprojekt ‘Cla Fo Turn’ optimiert Bauteilqualität und Produktivität

Neuartige Drehprozesse versprechen gegenüber den konventionellen Drehverfahren gesteigerte Bauteilqualität und Produktivität. Um diese Verbesserungen zu erzielen, werden zum einen neuartige Schneidplattenformen und optimierte Werkzeugbahnen eingesetzt. Zum anderen werden Prozesse mit einer zusätzlichen Achsbewegung, beispielsweise einer tangentialen Bewegung oder einer Rotation des Werkzeugs, verwendet. Dadurch entsteht ein gegenüber den konventionellen Prozessen abweichender, zeitlich veränderlicher Spanungsquerschnitt.

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Foto: IFW Hannover
Hier erklärt das IFW die Vorgehensweise zur Modellierung der untersuchten Drehprozesse.

Prozesskräfte müssen bereits in der Auslegung abgeschätzt werden

Bei konventionellen Drehprozessen können die Prozesskräfte mit etablierten und in der Industrie verbreitet angewandten Prozesskraftmodellen abgeschätzt werden. Eine Voraussetzung hierfür ist, dass der Spanungsquerschnitt einfach analytisch bestimmt werden kann. Bei den neuartigen Drehprozessen ist der Spanungsquerschnitt allerdings durch die abweichenden Eingriffsbedingungen nicht mehr einfach analytisch bestimmbar und seine Spanungsgrößen liegen in der Regel außerhalb des Bereichs, in dem die Prozesskraftmodelle Gültigkeit besitzen. Zur korrekten Auslegung von Drehprozessen, beispielsweise für die Dimensionierung des Werkstückspannsystems, müssen die Prozesskräfte allerdings bereits in der Auslegung abgeschätzt werden können.

Aufzeichnung mit spindelintegrierter Sensorik

Um Kenntnisse über die Zusammenhänge zwischen Prozesskräften und Eingriffsbedingungen zu erhalten, werden im Projekt zunächst für verschiedene dieser neuartigen Drehprozesse typische Bearbeitungen mit variierten Schnittgrößen durchgeführt und die Prozesskräfte mittels spindelintegrierter Sensorik aufgezeichnet. Anschließend werden die auftretenden Eingriffsbedingungen durch eine Materialabtragsimulation mit der institutseigenen Software ‘IFW CutS’ bestimmt. Die ermittelten Eingriffsbedingungen der gemessenen Prozesskräfte bilden die Grundlage für das Prozesskraft-Modell. Um eine einfache Parametrierung des Modells zu ermöglichen, entwickeln die Wissenschaftler darüber hinaus Referenzprozesse für die Kinematiken der neuartigen Drehprozesse.