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Foto: Christopher Detke

Automatisierungstechnik

„Wir glauben an eine Welt der offenen Standards“

In Zeiten von Fachkräftemangel und Digitalisierung punktet Automatisierung. NCFertigung sprach mit Tomas Hedenborg, CEO des finnischen Spezialisten Fastems.

Herr Hedenborg, 2018 brummte das Geschäft wohl in vielen Bereichen wie selten, das hat auch die AMB gezeigt. Kann Fastems vom aktuellen Nachfrageboom profitieren?

Wenn ich es kurz zusammenfassen sollte, würde ich sagen, unserem Unternehmen geht es besser als je zuvor, denn der Markt brummt ja wirklich momentan. Wir hatten letztes Jahr beim Auftragseingang einen Zuwachs von circa 40 und dieses Jahr steuern wir auf 30 Prozent zu. Wir können uns also nicht wirklich beklagen. Die Herausforderungen liegen jetzt aber an ganz anderer Stelle.

Sie deuten damit fehlende Kapazitäten an?

Genau. Das fängt bei Zulieferern an, geht weiter beim Finden kompetenter Fachkräfte und schließlich müssen wir selbst auch unsere eigene Lernkurve bewältigen. Aber das sind alles Dinge, die positiv sind, weil natürlich im Hintergrund der sehr starke Auftragseingang steht.

Mit den angesprochenen Wachstumsraten wachsen Sie also deutlich schneller als der Werkzeugmaschinenmarkt?

Ja, der Werkzeugmaschinenmarkt lag letztes Jahr bei rund 10 Prozent Zuwachs. Wir automatisieren ja typischerweise neue Werkzeugmaschinen und eher weniger die bereits existierenden. Daher hatten wir eigentlich immer eine Kopplung zwischen Neuinvestitionen in Werkzeugmaschinen und unserem Geschäft. Das scheint sich nun entkoppelt zu haben.

Woran liegt das Ihrer Meinung nach?

Nach unserer Erkenntnis konnten wir 2017 unseren Marktanteil deutlich vergrößern und die Gesamtnachfrage nach Automationslösungen ist auch gestiegen.

Bei dieser Entwicklung kommt Ihnen natürlich der Fachkräftemangel entgegen…

Ja, das ist mit Sicherheit ein entscheidender Punkt. Wir kommen ja gerade aus Chicago von der IMTS. Da gab es zu unserer Überraschung ein ganz prägnantes Phänomen, weswegen viele KMU an uns herangetreten sind: Die Auftragsbücher sind voll, Fachkräfte sind aber nirgendwo zu finden. Den Unternehmen bleibt gar keine Alternative als zu automatisieren. Da helfen wir natürlich gerne.

Warum hat Sie das überrascht?

Weil in den USA bei kleineren Unternehmen eher Skepsis in Bezug auf Automatisierung herrschte. Die haben Automation eher als kompliziert und teuer gesehen und davon Abstand genommen. Jetzt kommen genau diese Unternehmen auf uns zu. Da können wir natürlich jetzt schon klar machen, dass es auch Einstiegslösungen gibt und man schrittweise automatisieren kann.

Das heißt, Sie adressieren auch gezielt KMU?

Ja, eindeutig. Unser Kundenportfolio ist ja sehr breit gefächert. Natürlich ist die größte Einzelbranche, die wir bedienen, die Flugzeugindustrie. Aber der allgemeine Maschinenbau im weitesten Sinne ist unser Markt. Es geht von kleinen mittelständischen Unternehmen bis hin zu riesigen Konzernen inklusive der Flugzeughersteller selbst.

Lassen Sie uns auf Deutschland blicken. Wie sehen Sie die spanabhebende Fertigung hierzulande mit Blick auf die Automatisierung generell aufgestellt?

Also da gibt es noch viel Potenzial. Sehr allgemein gesprochen würde ich sagen, die Industrie ist hierzulande eher konservativ und tendiert dazu, lieber inkrementelle Schritte zu machen, als die großen Sprünge. Das ist natürlich eine knappe Verallgemeinerung. Ich denke es gibt sehr fortschrittliche Unternehmen, aber eben auch die, die ein wenig vorsichtiger sind. Das Potenzial ist aber noch gewaltig. Da die Investitionen jetzt wirklich auf Hochtouren laufen – die Inlandsnachfrage und Investitionen in den Maschinenbau haben ja auch sehr stark zugenommen – gibt es jetzt viel zu tun.

Sehen Sie dabei eine klare Entwicklungsrichtung in Deutschland?

Da muss ich etwas ausholen. Seit etwa sechs Jahren existiert der Begriff Industrie 4.0. Dieser Begriff hat vielen Unternehmen Kopfschmerzen bereitet. Man hat zwar verstanden, dass man etwas tun soll. Aber das war nicht besonders konkret und greifbar. Ein, zwei Jahre später haben die Maschinenhersteller ihre Maschinen als „Industrie 4.0 ready“ bezeichnet und mit tollen Aufklebern versehen, aber das waren auch nur Aufkleber. Wieder rund zwei Jahre später ist ein konkreterer und greifbarer Inhalt entstanden. Sowohl in, als auch um die Maschinen herum. Die Robotik hielt Einzug und es wurde verstanden, dass die Maschine mit der Außenwelt kommunizieren sollte. Heute, wieder rund zwei Jahre später ist das Bild aus meiner Sicht um einiges klarer geworden. Konkrete Lösungen und auch der Nutzen für den Anwender sind immer besser erkennbar.

Was muss der nächste Schritt sein?

Was noch fehlt und was natürlich auch in unseren Bereich fällt, ist das Verständnis dafür, dass es nicht reicht, die Maschine mit der Cloud zu verbinden und Daten auszulesen. Man muss die Maschine in einem größeren Kontext verknüpfen. Und da sind wir eigentlich in unserer Kernkompetenz: Die Integration von komplexen Gesamtanlagen, in denen die Werkzeugmaschine nur eine Ressource von vielen ist.

Und an dieser Integration arbeiten Sie momentan mit ihren Softwareentwicklern?

Ja, aber das ist nicht unbedingt etwas Neues. Wie Sie schon bemerkt haben, ist unsere Softwarefamilie sehr gut aufgestellt und zwar bereits seit 40 Jahren. Wir beschäftigen uns seit Unternehmensgründung mit Digitalisierung und Automatisierung, auch wenn es erst jetzt so einen Boom gibt und das Kind sozusagen einen Namen bekommen hat.

Mit Ihrer MMS Software können Sie also etwa die Planung und Auslastung des Maschinenparks überwachen. Wann geht welches Teil wohin und welche Zeitfenster stehen zur Verfügung. So ein Gesamtprozess hat aber viele Einzelschritte nach Bearbeitung und Handling. Wollen Sie noch tiefer einsteigen?

Unser Motto der AMB ist ja Kleinstserien und sogar die Einzelstückfertigung wirtschaftlich darzustellen. Das sagt ja schon etwas über die Entwicklungsrichtung aus. Die Werkstück- und Teilehandhabung wird jetzt ein Bestandteil unserer Software-familie. Hier gehen wir also bereits einen deutlichen Schritt weiter als bisher. Und die zweite Richtung ist, dass wir einzelne Maschinen, die nicht angebunden sind, aus der Software heraus als Ressource steuern können. Wir können heute nicht mehr nur auf unsere eigene Hardware zugreifen, sondern auf alle Maschinen, die im Prozess eingebunden sind. Auch andere Ressourcen wie zum Beispiel AGVs werden aktuell. Unsere Software greift also weiter in die Fabrik hinein. Wir haben da ein deutliches Wachstum erfahren, mittlerweile sind 70% unserer Entwickler Softwareentwickler.

Wenn Sie jetzt von den Automatisierungslösungen verstärkt in Richtung Software gehen, ergeben sich dann auch neue Geschäftsmodelle für Fastems als Softwareentwickler?

Wir sind im Kern immer noch ein Maschinenbauer, der aber leicht mit einem Softwareunternehmen verwechselt werden kann. Man muss bedenken: Für das gewünschte Ergebnis bedarf es der Hardware und der Software. Und das Zusammenspiel und die Verknüpfung mit der umliegenden Produktionswelt ist unsere Thematik. Wir haben aber auf der AMB auch Entwicklungen der Hardware gezeigt: wie etwa die neue Generation unseres Regalbediengerätes. Damit können wir noch vielseitiger verschiedenste Maschinen und Maschinentypen integrieren. Wir haben auch viel investiert, um unsere Hardware modular aufzubauen und zu gestalten und die Skalierbarkeit zu erhöhen.

Um noch einmal auf die Geschäftsmodelle zu kommen. Wie können diese konkret aussehen?

Wir bringen schon jetzt Geschäftsmodelle ein, die eher aus der Softwarebranche bekannt sind. Es ist nicht so, dass man von uns eine Hardware kauft und dann kommt da eine Software auf einem USB-Stick mit dazu. Die Software spielt so eine große Rolle und ist integriert in den ERP-Systemen oder CAD/CAM-Systemen der Kunden, dass wir auch Softwaregeschäftsmodelle hervorheben. Beispielsweise mittels einer Lizenzgebühr und einem jährlichen Betrag, bei dem sich der Kunde zwischen unterschiedlichen Levels entscheiden kann, die zu unterschiedlichen Leistungen und Updates berechtigen. Man muss bei der Software verstehen: Das ist kein statisches Gebilde. Software unterliegt immer äußeren Einflüssen und muss aktualisiert werden. Der Kunde möchte immer auf dem aktuellen Stand sein. So nähern wir uns schon Geschäftsmodellen der Software-

industrie, aber immer in der Kombination mit unseren Hardwarelösungen.

Das bedeutet, ich kann mir aussuchen welches Modul des MMS und damit welchen Softwareumfang ich für meinen Maschinenpark benötige und buche?

Genau, da gibt es unterschiedliche Module, die man nach Bedarf dazu konfigurieren kann. Das ist auch das Schlüsselwort: Konfigurieren. Wir kommen jetzt aus einer Welt maßgeschneiderter Lösungen hin zu einem System wo man unterschiedliche Module konfigurieren und zusammenfügen kann, um spezifische Lösungen zu generieren.

Sie haben Fastems einmal als unabhängigen Integrator bezeichnet. Was bedeutet das in diesem Zusammenhang?

Wir haben über 90 verschiedene Marken von Werkzeugmaschinen integriert. Das wäre nicht möglich, wenn wir mit irgendeinem Hersteller enger kooperieren würden, als mit den anderen. Denn diese Integration beruht ja darauf, dass wir all die Schnittstellen beherrschen, dass wir auf die technische Information über die Schnittstellen mechanisch, elektrisch, steuerungstechnisch und softwaremäßig zugreifen können. Das bedarf eines weitreichenden Vertrauens und eines eindeutigen Bekenntnisses dazu, dass wir ein unabhängiger Integrator sind. Aus Kundensicht hat ein proprietäres System immer Einschränkungen. Dann ist der Kunde für die Lebensdauer der Werkzeugmaschine an den Hersteller gebunden. Mit Systemen von Fastems hat man weitreichende Wahlmöglichkeiten. Ich denke schon, dass das eine attraktive Sache ist. Das mag einen kleinen Interessenkonflikt mit dem Maschinenhersteller geben, aber für den Endkunden ist das etwas Wertvolles, daher halten wir an dieser Unabhängigkeit fest. Und das gilt eigentlich für alle Technologien, die sich rund um so ein Fertigungssystem befinden.

Im Grunde geht es dabei doch um die Entwicklung einer Standardschnittstelle. Jeder würde gern den Standard entwickeln. Wie sehen Sie das?

Also der VDW hat ja Umati entwickelt und vor Kurzem vorgestellt. Das ist der erste Schritt in Richtung eines offenen Standards. Dieser wäre ganz wichtig, denn er würde die Integration der Systeme leichter machen. Wir begrüßen solch einen Standard weil es attraktive Lösungen für den Endkunden erleichtert. Der Endkunde muss darüber nichts wissen. Er muss nicht wissen, dass es da unter der Haube einen Standard oder ein Protokoll gibt, das die Maschinen zur Kommunikation befähigt.

Halten Sie diesen Versuch, der ja nicht der erste ist, für erfolgsversprechend?

Ja, es gibt sehr deutlich einen Bedarf dafür. Soweit ich es verstehe, ist das jetzt kein Versuch, direkt den Standard zu schaffen, sondern einen weiteren Schritt in die richtige Richtung zu gehen. Das einzige, das bisher eine ähnliche Richtung hatte, ist MT-Connect aus Nordamerika. Und es gibt ja bereits Bemühungen, das zu verschmelzen. Von den Japanern gibt es nichts Vergleichbares. Der gesamte asiatische Markt ist aus meiner Sicht noch im Hintertreffen. Von daher gibt es jetzt eine große Chance, dass ein Branchenstandard in einer Art entwickelt wird, die wir begrüßen. Denn wir glauben an eine Welt der offenen Standards eher, als dass es irgendwo einen dominierenden Spieler geben wird, der proprietäre Standards setzen wird.