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Armin Engelhardt (li.) und Jörg Lettermann: „Automatisierung ist die Zukunft der Zerspanung. Zum einen lassen sich viele Maschinen und Geometrien kaum noch händisch programmieren. Zum anderen fehlt der Nachwuchs. Wir fördern junge Leute – unser TechCenter ist eine echte Talentschmiede.“
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Armin Engelhardt (li.) und Jörg Lettermann: „Automatisierung ist die Zukunft der Zerspanung, weil viele Maschinen und Geometrien kaum noch händisch programmierbar sind und zudem der Nachwuchs fehlt. Wir fördern junge Leute im Techcenter.“

Fräswerkzeuge

Techcenter voll auf Zukunft eingestellt

2002 ging es los. „Unser Techcenter ist nach wie vor das modernste, das ich kenne – auch in der IMC-Group“, betont Armin Engelhardt. Das leistet das Techcenter.

Zukunft ist gut. Momentan gibt es aber zwei große Probleme, die der Chefetage bei Ingersoll Werkzeuge in Haiger Kopfzerbrechen machen: „Es ist nicht die weiter zunehmende Komplexität des Prozesses, das Weitwinkelfräsen oder die digitale Verkettung mit Rechnern, Maschinen und Automation. Sorgen machen uns die jungen Leute, die nicht mehr an die Maschinen, sondern alle ins Büro wollen.“ Die Ursachen dafür sieht Armin Engelhardt tiefer, beginnend in Schule und Kindergarten. „Bevor Kinder heute einen Schraubenzieher, eine Säge, ein Werkzeug in die Hand kriegen, sitzen sie vor einem Bildschirm, iPad oder Handy. Deshalb gehen wir neue Wege. Wir fördern junge Leute massiv. Unser Tech Center dient dabei auch als eine Art Talentschmiede“, betont Verkaufsleiter Jörg Lettermann. Demnach könnten sich talentierte junge Leute beweisen, mit neuesten Technologien und Maschinen umzugehen und mit neuen Ideen alte Maschinen und Prozesse neu zu interpretieren und aufzusetzen.

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Michael Hof und Michael Schneider vor dem Teile-Spektrum des TechCenters: „Für unsere Kunden und Projektpartner stehen sechs Bearbeitungszentren und 12 Anwendungstechnikern bereit – übrigens auch mit Schulungen vor Ort.“
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Michael Hof und Michael Schneider vor dem Teile-Spektrum des Techcenters: „Für unsere Kunden und Projektpartner stehen sechs Bearbeitungszentren und 12 Anwendungstechnikern bereit – übrigens auch mit Schulungen vor Ort.“

Troubleshooter für Extremeinsätze

„Das war vor 20 Jahren aber noch ganz anders. Unsere Anwendungstechnik-Abteilung im nahegelegenen Burbach zählte damals zwar schon vier Mitarbeiter. Heute ist die Abteilung auf 12 Mitarbeiter erweitert“, berichtet TechCenter-Leiter Michael Schneider. Früher standen vor allem Werkzeug- & Formenbau und Schwerzerspanung im Fokus. Heute lösen die Troubleshooter von Ingersoll Anwendungsprobleme und loten neue und extreme Einsatzmöglichkeiten für das gesamte Werkzeugportfolio von Ingersoll Werkzeuge aus. Sechs Maschinen stehen mittlerweile für umfangreiche Tests in Haiger bereit. „Wir fahren vor allem grundlegende Tests mit allen aktuellen Präzisionswerkzeugen. Es geht um Anwendungen, bei denen selbst unsere erfahrenen Techniker nicht sofort eine Lösung parat haben. Diese Probleme lösen wir in Haiger im TechCenter,“ erklärt Michael Schneider

Prozess- und Werkzeug-Potenziale heben

Zweites großes Aufgabengebiet sind nach Angaben von Michael Schneider die Kundenanfragen. Demnach würden immer mehr Zerspaner die Leistungsfähigkeit ihrer Ingersoll-Werkzeuge hinterfragen und optimieren wollen. „Der Anwender will den Nutzen der Werkzeuge verbessern, Potenziale heben, das Maximale aus den Werkzeugen und ihrem Prozess rausholen oder sich auch nur Tipps holen, wie die eigene Mehrachsmaschine mit höheren Schnittwerten gefahren werden kann.“ Jeder Ingersoll-Anwendungstechniker würde zwar das Spektrum der Zerspanung beherrschen, dennoch seien schon bei der Bandbreite der Programmiersysteme Nachfragen bei den kooperierenden Herstellern einer modernen Prozesskette, unumgänglich – und letztlich aber für ein professionelles Ergebnis nötig. „Die meisten unserer Kunden verfügen ja selbst über größeres technisches Know-how. Darauf wollen und müssen wir natürlich aufbauen, um weiteres Potenzial aus unseren Werkzeugen und dem Prozess herausholen zu können – was zugegebenermaßen nicht immer leicht ist“, deutet Michael Schneider die meist kniffligen Anfragen der Zerspaner an. „Prinzipiell können wir aber durch unsere über 20-jährige Erfahrung gut einschätzen, was möglich ist – spätestens, wenn wir im ersten Schritt ein Bild oder Video sehen oder uns auch vor Ort einen Eindruck von dem Prozess machen können. Das klärt dann oft schon vieles.“

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Das Titanbauteil: Anwendungstechniker Michael Hof hatte einige Strategien im CAM getestet. Die finale Bearbeitungszeit lag bei 3,8 min.
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Das Titanbauteil: Anwendungstechniker Michael Hof hatte einige Strategien im CAM getestet. Die finale Bearbeitungszeit lag bei 3,8 min.

CAM-System entscheidend für Effizienz der Spezialwerkzeuge

Die Anfragen sind vielfältig. Die Lösungswege auch. Nach Erfahrung von Anwendungstechniker Michael Hof kommt es heute auch entscheidend auf die Auswahl des Programmiersystems an. Das CAD/CAM sei oft verantwortlich für die oft großen Standzeitabweichungen bei den Werkzeugen. Man kann die, mit der in Aluminium erfolgreichen Werkzeugstrategie, nicht auf baugleiche Titanbauteile projizieren. Dafür braucht es zwei verschiedene Strategien – und mindestens genauso wichtig: zwei verschiedene Beschichtungen + Geometrien, also prinzipiell verschiedene Werkzeuge zur Zerspanung. Sonst kann man gleich eine Universalwerkzeug nehmen. Das geht – ist dann aber nicht wirklich effizient.“ Wichtig sei demnach eben auch die Auswahl des CAM-Systems. Absolut prädestiniert sei beispielsweise das Trochoidalfräsen in exotischen Stahllegierungen sowie auch für die allgemeine Stahlbearbeitung. Nicht jedes Werkzeug sei für diese Strategien gleichermaßen gut geeignet, was große Standzeitabweichungen mit sich bringen würde. „Deshalb müssen wir möglichst jedes System, Werkzeug und Material kennen und uns gegebenenfalls gegenseitig helfen. Jeder unserer 12 Anwendungstechniker hat sein ganz eigenes Spezialgebiet“, erklärt Michael Schneider die Bandbreite im Team.

Erste Indizien durch Ton, Oberfläche sowie Spanbildung

Ingersoll betreut mehrere Tausend aktive Kunden. „Im Schnitt sind unsere Anwendungstechniker rund die Hälfte ihrer Arbeitszeit beim Kunden vor Ort – bei Bedarf auch wochenweise.“  „Viel Troubleshooting wird dort praktiziert“, so Burkhard Braas Leiter Werbung & Medien. Die Top 10 der Aufgaben würden demnach das Analysieren der Kundenwünsche und deren Umsatzmöglichkeiten beinhalten. „Ob der Prozess gut läuft, hören Sie meistens sofort am Ton. Weiteres Indiz sind die Oberflächen sowie die Spanbildung. Damit können Sie den Prozess schon ganz gut einschätzen.“ skizziert Michael Hof das große Thema Werkstoff-Know-how.

Nicht nur neue Werkzeuge kaufen – sondern ein Paket

Ob der Komplexität des Zerspanungsprozesses empfiehlt Michael Schneider vielen Anwendern: Nicht Werkzeuge einzeln kaufen, sondern das Gesamtpaket von erfahrenen Werkzeugherstellern zusammenstellen lassen, die eben auch das Know-how für die Spanntechnik in der Spindel und auf dem Tisch besitzen. „Das schont nicht nur die Kapazitäten des Anwenders bei der Werkzeugauswahl“, betont Michael Schneider: „Dass Ingersoll das Zeug dazu hat, beweisen wir täglich in unseren 10.000 m ² großen Produktionshallen, wo wir auf vielen Bearbeitungszentren unsere eigenen Werkzeugträgersysteme produzieren und unsere Wendeschneidplatten vollautomatisiert schleifen.“

Kostenlose Tagesschulungen, strukturierte Projektarbeiten

Dieses Wissen, so Michael Schneider, würden viele Ingersoll-Experten und größtenteils die Anwendungstechniker regelmäßig in kostenlosen Tagesschulungen am Standort Haiger oder auch vor Ort beim Kunden weitergeben. Sehr strukturiert würden auch die Projektarbeiten geplant, die mit einer Bearbeitungsanfrage starten und über die Problemfindung und Detailklärung zur Werkzeugauslegung führen. „Mit dem richtigen CAM-System werden Zeitstudien erstellt, bei Bedarf auch für ein komplettes Bauteil.“ Es kommt nicht selten vor, berichtet Michael Hof, dass weit über 100 Bearbeitungsstrategien generiert werden müssen. 

Nachts auch filigrane Titanbauteile fräsbar

„Mittlerweile können Sie fast jede Strategie auch nachts einsetzen, auch Kreissegmentfräser oder Trochoidalfräser. Das läuft“, beweist Michael Hof anhand der Auslegung von einer ‚Fahnenhalterung‘. „Das war ein echtes Problemteil. Wir haben zwischen Vollspur, Trochoidal und Tauchen programmiert. Ich empfehle dabei immer, den prozesssichersten Weg zu nehmen.“ Michael Hof hatte für das Titanbauteil im CAM mit 3,8 min Bearbeitungszeit abgeschlossen, die aber im realen Fräsprozess auf +/- 10% abweichen kann. Der Grund für die Abweichung können Werkzeugwechselzeiten sowie Start-, Anfahr- und Verschleifzeiten sein. Prinzipiell kalkuliert das Ingersoll-Techcenter mit rund zwei Tagen für die Ausarbeitung eines Projektes. Momentan werden rund ein Dutzend Projekte pro Monat bearbeitet. „Vor allem die neuen Materialien stehen natürlich im Fokus: Edelstahl fräsen, Strategien vorschlagen. Gut sei es dabei, wenn Kunden tatsächlich für alles offen sind. Es macht Sinn, Semi-Standardwerkzeuge einzusetzen, um zum Beispiel zwei Bearbeitungsschritte mit einem Werkzeug durchzuführen.“ Und das kann in einer ausgereizten Serienfertigung mit begrenztem Werkzeugmagazin manchmal ein entscheidender Vorteil sein“, gibt Michael Schneider zu bedenken.