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Foto: Kern Microtechnik
Blick in den Arbeitsraum: Mit der Anlage von Kern erzielt Martin Schwab Ebenheiten von weniger als 800 nm und kann Werkstücke mikrometergenau in Serie fräsen.

Werkzeugmaschinen

Mikrometergenau fräsen in Serie

Mit dem Bearbeitungszentrum Kern Micro HD erreicht Cemec hohe Präzision und fräst mikrometergenau Bauteile für die Luft- und Raumfahrtindustrie in Serie.

Wenn Martin Schwab in den Himmel schaut, dann weiß er, dass dort bis in den tiefen Weltraum hinein Bauteile umherfliegen, die sein Unternehmen, die Cemec Intelligente Mechanik GmbH, hergestellt hat, denn mit dem Bearbeitungszentrum Kern Micro HD erreicht Cemec hohe Präzision und fräst mikrometergenau Bauteile für die Luft- und Raumfahrtindustrie in Serie. Die Luft- und Raumfahrtindustrie ist eine der Hauptbranchen, für die der 58-jährige Firmengründer und Geschäftsführer sowie seine sieben Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Highend-Produkte entwickeln und mit maximaler Präzision fertigen. Um für seine Kunden optimale Lösungen zu finden und Produkte zu ermöglichen, die zuvor als nicht herstellbar galten, benötigt der Feinwerktechnik-Ingenieur Highend-Maschinen. So beschaffte er 2019 das 5-Achs-Bearbeitungszentrum Micro HD des Maschinenbauers Kern Microtechnik. Damit gelang Cemec der Sprung auf ein neues Level der Präzision und Reproduzierbarkeit – auch im Bereich größerer Volumina. Das Unternehmen in Spalt bei Nürnberg fertigt bislang meist Kleinserien. Oft müssen Toleranzen von wenigen Mikrometern bis einigen hundert Nanometern reproduzierbar eingehalten werden.

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Foto: Kern Microtechnik
Das Fünfachs-Bearbeitungszentrum Kern Micro HD vereint auf geringer Stellfläche hohe Präzision und Effizienz.

Optische Baugruppe für den Weltraum

Direkt nach seinem Studium der Feinwerktechnik machte sich Schwab als Entwicklungsingenieur selbstständig. Schon bald wuchs die Erkenntnis, dass Entwicklung und Produktion enger voneinander abhängig sind, als es in vielen Projekten und Unternehmen abgebildet ist. „Gerade bei hohen Präzisionsanforderungen müssen Experten dieser beiden Bereiche sich ständig und auf Augenhöhe die Bälle zuspielen, um sich an das gewünschte Ergebnis heranzuarbeiten“, erläutert er sein Credo. Deshalb setzte er schon bald eigene Bearbeitungsmaschinen ein, um beide Felder eng zu verzahnen. Dieses Prinzip hat er nach der Cemec-Gründung im Jahr 2001 weiter perfektioniert und sich damit den Ruf eines Problemlösers für scheinbar Unmögliches geschaffen.

Heute entwickelt und produziert sein Unternehmen Produkte für verschiedene Branchen, etwa Lösungen für Antriebstechnik, optische oder elektronische Baugruppen. Um eine optische Baugruppe handelt es sich auch beim jüngsten Vorzeigeprojekt, das bald im Weltraum fliegen wird und das Schwab ohne die Kern Micro HD nicht hätte realisieren können, wie er betont. Das eigentlich unscheinbare, etwa 66 mm lange „Teleskop“ mit 20 mm Durchmesser hat es in sich. Es muss mit zwei Linsen in der Kommunikationseinheit eines Satelliten helfen, einen Laserstrahl mit 5 mm Durchmesser so zu bündeln, dass er in 100.000 km Entfernung auf maximal 10 mm aufgeweitet ankommt – und das in einem Temperaturfenster von -40 bis 60 °C. Zudem muss diese Optik, die zu einem größeren System gehört, die enormen Belastungen beim Raketenstart überstehen und darf dabei nichts an Genauigkeit einbüßen.

Mikrometergenau feinste Gewinde gefräst

Schon die Aluminiumlegierung, die Cemec zusammen mit dem Auftraggeber Tesat-Spacecom wegen ihrer Homogenität und besonderen Wärmeleitfähigkeit auswählte, ist eine Herausforderung. Sie besteht zu 40 % aus Silizium, ist also extrem spröde und schwer zerspanbar. „So ein schwieriges Material habe ich schon lange nicht mehr bearbeitet“, sagt Schwab und ergänzt mit deutlichem Stolz: „Mit der Kern Micro HD können wir trotzdem mit Mikrometergenauigkeit feinste Gewinde hineinfräsen.“ Die Parallelität der beiden Linsensitze muss besser als 2 µm sein, und weil dazwischen noch ein Ring zur Kompensation thermischer Ausdehnung verbaut wird, müssen die Einzelteile bis auf weniger als 1 µm genau gearbeitet sein.

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Foto: Cemec
Teleskop für einen Kommunikationssatelliten im Schnitt: Dieses optische Bauelement fräst Cemec auf der Kern Micro HD reproduzierbar bis auf weniger als 1 µm genau.
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Foto: Cemec
Für das Teleskop werden auch Einzelteile wie ein Ring zur Kompensation thermischer Ausdehnung gefräst. 

„Früher hätte ich eine solche Anfrage ablehnen müssen und ich glaube, es hätte auch kein anderer realisieren können. Jetzt haben wir eine Neuentwicklung, die mit der hochpräzisen Fräsmaschine in Kombination mit unserem Wissen möglich geworden ist“, betont der Geschäftsführer und belegt das konkret: „Mit der Micro HD realisieren wir Ebenheiten von weniger als 800 nm und können mikrometerweise nacharbeiten, wenn es nötig ist.“

Eigentlich wäre das Teleskop ein klassisches Drehteil. Doch auf der Drehmaschine wurde die erforderliche Präzision nicht erreicht. Daher fertigt Cemec es komplett in einer Aufspannung auf der Kern Micro HD. Die Bearbeitung dauert auf der einen Seite 40 Minuten, auf der gegenüberliegenden etwa zwei Stunden.

Um die hohe Präzision und Reproduzierbarkeit der Bearbeitung zu erreichen, haben die Maschinenentwickler bei Kern in die Micro HD einige Innovationen integriert. Vor allem die Mikrospalt-Hydrostatik, lineare Direktantriebe und das neue Temperaturmanagement bringen den Anwendern erhebliche Vorteile. Dabei sind alle drei Technologien eng verzahnt, sodass ein schlüssiges Gesamtsystem entsteht. Bei der Mikrospalt-Hydrostatik handelt es sich um eine zum Patent angemeldete Weiterentwicklung der hydrostatischen Antriebe, mit denen Kern schon lange die Pyramid Nano ausstattet.

Hydrostatik sorgt für hohe Vibrationsdämpfung

Der grundsätzliche Vorteil besteht darin, dass die hydrostatischen Führungen und Antriebe keinem mechanischen Verschleiß unterliegen. Zudem erlaubt die Hydrostatik hohe Beschleunigungen bei gleichzeitig hervorragender Vibrationsdämpfung sowie eine deutlich schonendere und absolut ruckfreie Bewegung der Werkzeuge, was deren Standzeiten erhöht. Die Mikrospalt-Hydrostatik in der Micro HD ist aber ein Novum im Maschinenbau. Durch das integrale Design in Kombination mit Linearmotoren ist sie robuster und benötigt etwa 80 % weniger Energie als herkömmliche hydrostatische Systeme. Gleichzeitig verbessern sich durch den kleinen Spalt Steifigkeit und Dämpfungseigenschaften der Maschine, was für hohe Oberflächengüte und Genauigkeit am Werkstück sorgt. Erreicht werden etwa bei Bedarf Ra-Werte von 0,05 µm in Serie ohne Poliervorgang.

Großdimensionierte und aktiv temperierte Linearmotoren sind ein weiteres Highlight. Sie bringen im Vergleich zu Kugelgewindeantrieben deutliche Vorteile in Dynamik und Regelgenauigkeit. Damit die Integration gelingen konnte, war es unter anderem entscheidend, die hohe Wärmeentwicklung der Linearmotortechnologie in den Griff zu bekommen. Denn laut Studien sind Temperatureinflüsse für rund 70 % aller Genauigkeitsfehler im Hochpräzisionsbereich verantwortlich. Daher werden die Linearmotoren aktiv temperiert und in das hydrostatische System integriert, was den Wärmeeintrag minimiert.

Verbessertes Temperaturmanagement

Außerdem haben die Entwickler bei der HD das Temperaturmanagement nochmal auf ein neues Niveau gebracht. Die Kühlflüssigkeiten werden sehr genau geregelt und mit einem Volumenstrom bis 200 l/min durch Maschinenständer, Dreh-Schwenkachsen, Linearachsen und Spindel geschickt. Das Ergebnis zeigt sich bei einem thermischen Stresstest. Barbara Bergmann, Gebietsverkaufsleiterin bei Kern, erläutert: „Die Regelgenauigkeit des zentralen Temperaturmanagements beträgt lediglich +/- 0,05 Kelvin und bildet die perfekte Basis für höchstpräzise Bearbeitung.“

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Foto: Kern Microtechnik
Barbara Bergmann, Gebietsverkaufsleiterin bei Kern, und Cemec-Chef Martin Schwab sehen das ausgeklügelte Thermomanagement in dem Fräszentrum als Voraussetzung für die erzielte hohe Bearbeitungspräzision.

Dies und die Mikrospalt-Hydrostatik waren für Cemec wesentliche Gründe bei der Entscheidung für die Kern Micro HD. Die Fertigung des Teleskops für die Satellitenkommunikation beispielsweise wäre auf einer thermisch nicht absolut stabilen Maschine kaum möglich, urteilt Schwab: „Bei einer Bearbeitung mit grober Zerspanung, hohem Drehmoment und schnellen Zerspanungsschritten wärmt sich die Maschine unweigerlich auf. Wenn sie nicht aktiv temperiert wird, verursacht die thermische Ausdehnung bei der finalen Bearbeitung so große Abweichungen, dass ich die erforderliche Präzision nicht erreichen kann.“ Um alle Potenziale auszureizen, wird der Firmenchef den Raum, in dem die Micro HD arbeitet, in Kürze auf ±1°C Grad genau temperieren.

Hohe Präzision auch für größere Serien

Die Hydrostatik schließlich liefert die Garantie, dass die Präzision dauerhaft erzielt wird. „Zu wissen, dass die Maschine auch in 15 Jahren noch so genau arbeiten wird wie heute, ist für mich ein wichtiges Argument“, betont Schwab. Für ihn ist klar: „Die Micro HD ist ein wesentlicher Baustein in dem Qualitätsanspruch, den wir erfüllen müssen und wollen“. Dazu trägt auch der kontinuierliche Austausch mit den Experten des Maschinenbauers aus Eschenlohe bei. „Wenn wir ein Problem haben, melden wir uns bei Kern und bekommen jede Unterstützung, die man sich vorstellen kann. Das habe ich noch bei keiner anderen Firma so perfekt erlebt“, hebt Schwab hervor. Daher will der Unternehmer auch bei seinem geplanten Ausbau auf Anlagen von Kern setzen.

Bislang fertigt Cemec meist Prototypen und Kleinserien von fünf bis 2.000 Stück. Mit der neuen Maschine hat Schwab sich dafür gerüstet, auch größere Volumen in der gleichen Präzision herzustellen. „Mein Plan ist es, noch wenigstens zwei oder drei weitere Kern-Maschinen einzusetzen“, beschreibt er die Perspektive.

Peter Klingauf/rk

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Foto: Kern Microtechnik
Gut bestückt: Für ihre komplexen Bearbeitungen nutzt Cemec die bis zu 210 Plätze im Werkzeugwechsler der Micro HD oft komplett aus.